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Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Cristóbal: oder Die Reise nach Indien

Titel: Cristóbal: oder Die Reise nach Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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Kanarienvögeln.»
    «Was ist bloß in die Priester gefahren?»
    Wir kehrten in die Werkstatt zurück, ohne den Grund ihres Zorns wirklich zu verstehen. Was war die neue Haltung der Kirche gegenüber ihrer Nacktheit? Damals waren wir jung, und der Körper der Frauen spukte uns im Kopf herum. Uns fiel nichts Besseres ein, als Ze Miguel zu fragen, den besten Kenner dieses magischen Kontinents.
    «Ich kann Euch nichts sagen.»
    Seine Stirn legte sich in Falten.
    «Aber vielleicht… da mein Bericht bereits fertig ist…»
    «Was für ein Bericht?»
    «Als Kartographen seid Ihr doch vereidigt und tragt große Geheimnisse mit Euch herum… Ich würde es Euch gerne sagen… aber nur unter dem Siegel größter Verschwiegenheit…»
    Und so wurde ich zum ersten Mal mit der Frage konfrontiert, die mich in all den Jahren beschäftigen sollte, in denen ich mit Wilden zu tun hatte, ohne dass ich hinter das Geheimnis ihres Wesens gekommen wäre: «Was sehen die Schwarzen, wenn sie etwas sehen?»
    «Stellt Euch vor, es ist drei Monate her, da wurde ich in den erzbischöflichen Palast gerufen…»
    Wachen hatten ihn durch ein Labyrinth aus langen Fluren in einen kleinen Saal gebracht, der ebenso dunkel war wie die Sakristei in der Grabeskirche in Jerusalem. Kurz darauf kamen drei Männer, der Erzbischof und zwei Stellvertreter. Sie setzten sich an einen Tisch, aber sie boten Ze Miguel keinen Platz an. Es gab auch gar keinen Stuhl für ihn. Ein wenig zitternd blieb er stehen.
    «Mein Sohn, die Kirche braucht Euch.»
    «Selbstverständlich stehen meine schwachen Kräfte ganz in Euren Diensten.»
    Es folgte eine lange Darlegung über ein Thema, das Ze Miguel nur allzu gut kannte: den Verfall der Sittlichkeit bei den Frauen, seit diese Flut schwarzer Männer über die Stadt gekommen war. Allein der Erzbischof sprach. Die beiden anderen nickten nur mit dem Kopf. Vielleicht waren sie durch eine Krankheit oder ein Gelübde stumm geworden: Das Kopfnicken war ihre einzige Sprache.
    «Selbstverständlich schenken wir jenen keinen Glauben, die von Fällen fleischlicher Vereinigung erzählen. Dass sich die Töchter oder Nichten unserer Mütter solcherart paaren könnten, ist wohl unvorstellbar?»
    Die Köpfe der Stellvertreter änderten abrupt die Richtung. Statt von oben nach unten, begannen sie nun, zum Zeichen vehementer Ablehnung von links nach rechts und von rechts nach links zu wandern.
    «Unsere Sorge ist eine andere. Und hier, mein Sohn, kommt Ihr ins Spiel. Es gibt gewisse, durchaus glaubwürdige Berichte, eine wachsende Zahl unserer weiblichen Gläubigen zeige sich nackt vor diesen Wilden und empfinde darüber so wenig Scham, dasssie es nicht einmal für notwendig halten, dies bei der Beichte zu erwähnen.»
    Ze Miguel konnte die aberwitzige Zunahme dieser Gepflogenheit nur bestätigen.
    Der Prälat lächelte.
    «Ihr seid ganz offensichtlich der beste Verteidiger der Frauen. Sie werden Eure Schlussfolgerungen also nicht in Frage stellen können.»
    «Welche Schlussfolgerungen?»
    Der Erzbischof senkte die Stimme und beugte sich vor, die beiden anderen folgten seinem Beispiel. Ze Miguel tat dasselbe. So weit, dass die vier Schädel sich fast berührten.
    «Im Vorfeld jedes Reinigungsfeldzugs benötigen wir Erkenntnisse. Wäret Ihr daher so gut und beruft eine Kommission ein, in die Ihr alle aufnehmen könnt, die Ihr für ebenso weise wie fähig haltet, ein Geheimnis zu bewahren? Wenn Eure Untersuchung abgeschlossen ist, erstattet Ihr Bericht über die entscheidende Frage, die da lautet: Was sehen die Schwarzen, wenn sie sehen?»
    Und nach erneutem mehrfachen und sehr ehrerbietigen Kopfnicken verschwanden die drei Männer unter lautem Rauschen ihrer wertvollen Gewänder zu anderen frommen Beschäftigungen.
    Die unverzüglich zusammengerufenen Augenärzte, obgleich die berühmtesten der Stadt, waren keine Hilfe. Sie untersuchten, diskutierten, stritten, entschieden sich, ihre Untersuchungen zu wiederholen, konnten sich nicht einigen, baten um Erlaubnis, die Augäpfel von fünf Schwarzen aufschneiden zu dürfen, die kurz zuvor an Fieber gestorben waren. Die Einwilligung kam. Da man aus diesem ersten Experiment keine klaren Schlüsse ziehen konnte, wurde eine neue Anfrage gestellt. Ebenfalls bewilligt. Dieses Mal schnitt man den Augapfel eines lebenden Schwarzen auf, nachdem man ihn sorgsam aus der Augenhöhle gerissen hatte. So erhoffte man sich einen genauen Nachvollzug des Sehvorgangs. Vergeblich: Die Ärzte stritten. Die einen machten

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