Cristóbal: oder Die Reise nach Indien
herauszufinden, wie die Welt aussieht, hatten sich richtig entschieden.
Meister Andrea fand immer, dass unsere Skizzen zu klein ausfielen.
«Vergrößert sie!», wiederholte er stets. «Wozu nützt es, die Welt abzubilden, wenn man sich die Augen verderben muss, um sie zu sehen?»
Ich benötigte einige Zeit, bis ich verstand, was hinter dieser fixen Idee steckte. Wie bei allen alten Menschen ließ sein Sehvermögen nach, und wie alle alten Menschen weigerte er sich, dieses Schwinden der Sehkraft einzugestehen. Jahr für Jahr musste er weiter zurücktreten, um zu vermeiden, dass die Konturen vor seinen Augen verschwammen. Und wenn er zurücktrat, konnte er die Einzelheiten nicht mehr lesen. Wutausbrüche waren die Folge. Um sie einzudämmen, hatte Javier, der die Farben zubereitete, den Einfall mit der Wand. Der hintere Teil der Werkstatt, wo sich Fässer, alte Wagenteile und Stapel von Dachziegeln türmten, wurde entrümpelt. Eine Wand so groß wie die Giebelwand eines mehrstöckigen Hauses wurde freigeräumt, gekalkt und darauf der größte Malgrund geheftet, den unsere Werkstatt je hergestellt hat: Wir benötigten die Haut von acht Kälbern, und da meine Hand in dem Ruf stand, dass sie gerne die Feinarbeit erledigte, wurde ich mit den Nähten beauftragt, für deren Unsichtbarkeit man mir bereitwillig Komplimente machen wollte. Dann zeichneten wir, unter absoluter Geheimhaltung, riesige Küstenlinien von Marokko, gewaltige Kaps, Strände, Riffe, Flussmündungen, die fünf- oder sechsmal so groß waren wie auf gewöhnlichen Karten…
Erst dann wurde Andrea eingeweiht.
Mit der für einen Meister üblichen Unredlichkeit schrieb er sich sofort die Urheberschaft für das begonnene Meisterwerk zu.
«Endlich, endlich habt ihr auf mich gehört», meinte er zufrieden: «Endlich habt ihr Afrika seine verdiente Größe gegeben! Ihr seid gute Gesellen. Schade nur, dass ihr so langsam darin seid, die Anordnungen auszuführen!»
Zu jener Zeit, ich erinnere mich, die Äquatorlinie war schon längst überschritten, reichten die Umrisse des Schwarzen Kontinents bis zur Mündung eines Flusses, der über die Maßen groß schien, mit keinem der Menschheit bekannten Wasserlauf vergleichbar. Weiter waren die Seefahrer nicht vorgedrungen. Sie hatten von ihren Seefahrten nur eine Gewissheit mitgebracht: Jenseits dieses Flusses, der breit war wie ein Meer, gab es eine Küste; der Kontinent Afrika setzte sich fort.
Wir konnten uns nicht vorstellen, welche Auswirkungen unser Einfall auf die Geschichte der Entdeckungen sowie auf das Schicksal unseres Meisters Andrea haben würde.
Seine Frau, mit der er ständig in Streit gelegen hatte, war gerade gestorben. Zu Lebzeiten war sie zu jeder beliebigen Tageszeit in der Werkstatt aufgetaucht, hatte ihrem Mann mit schriller Stimme vorgeworfen, er sei öfter weg als ein Seemann, und hatte immer wieder ihren Hass, ihren tiefen Hass auf Landkarten bekundet, diese Rivalen, die schlimmer waren als Frauen, denn ihre Reize forderten nicht den Leib des Mannes, sondern seine Träume, sie waren schlimmer als die See, weil sie so vielfältig waren, ja, verflucht sollten sie sein und alle zusammen zu Asche werden! Mehrfach mussten wir sie daran hindern, zur Brandstifterin zu werden.
Nachdem sein bester Feind gestorben war, wusste Andrea nicht mehr, welchen Krieg er führen sollte und gegen wen.
Der Plan zu einer riesigen Karte fand großen Widerhall bei ihm. Er setzte sich Tag und Nacht dafür ein mit einem Ehrgeiz, der täglich größer wurde.
«Wir werden etwas Besseres machen als den Katalanischen Weltatlas!»
Für alle aus meiner Zunft war, wie ich bereits sagte, das Kartenwerk des mallorquinischen Juden Abraham Cresques nach wie vor ein unübertreffliches Wunder.
Wer verriet uns?
Und kann ich die strenge Beachtung dieses Gesetzes Verrat nennen: dem Palast jeden Fortschritt des Wissens zu melden?
Keine Trompete ging dem ruhmreichen Besuch voran, keine Ankündigung erreichte uns, keine Eskorte kam am Vorabend, um, wie die Soldaten es in ihrer ebenso deutlichen wie hochtrabenden Ausdrucksweise nennen, «die Räume zu sichern». Eines schönen Tages, kurz vor Mittag, ging die Tür auf. Da sie häufig einen Spalt weit offen stand, und sei es nur der Tiere wegen, die herein- oder hinausgingen, der Hunde, die vom Gestank der Klebstoffe angezogen wurden, oder der Möwen, von denen wir wussten, dass sie alles fraßen, unterbrach keiner von uns seine Arbeit.
«Holà!», rief schließlich
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