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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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Holzscheite, aber auch Hüte, Schuhe und einige Messer, in Richtung dieser unerhört friedlichen Gegner. Das Nashorn stand noch immer reglos neben dem Elefanten, der ihm nicht die geringste Beachtung schenkte, so beschäftigt war er, mit seinem Rüssel lässig jene Wurfgeschosse abzutasten, die jetzt das Pflaster des Platzes übersäten. Da er nichts nach seinem Geschmack fand, wedelte er mit seinen riesigen Ohren.
    Zornig über diese Geringschätzung, hob plötzlich der gehörnte Fels seinen rechten Vorderfuß, stampfte unter Beifallsrufen zweimal auf und griff an.
    So riesig er war, der Elefant bekam es mit der Angst zu tun. Einen Moment lang stand er still. Dann stieß er ein raues Gebrüll aus. Seine Ohren schlugen wie klatschende Hände. Und bevor das Horn des lebenden Steins seine Brust rammen konnte, drehte er sich auf den Hinterbeinen um und ergriff mit verblüffender Behändigkeit die Flucht.
    Er drückte eine Balustrade ein, trampelte ein gutes Dutzend Zuschauer nieder, bog unter Protestrufen in die Straße der Goldschmiede ein und verschwand. Das Erstaunlichste war, dass man nie mehr eine Spur von ihm gesehen hat. Mit Ausnahme von zwei frisch abgesägten Stoßzähnen.
    Am nächsten Tag lagen sie an einem etwas abgelegenen Marktstand auf dem Terreiro do Paço aus. Sie blieben nicht lange dort zwischen Salaten und Steckrüben liegen. Als die Glocken der Kirche São Julião 9 Uhr schlugen, trug ein Abgesandter des Juweliers Lazaro sie bereits davon. Eine einzige Frage hatte genügt, damit der Händler sie ihm für einen lächerlichen Preis überließ:
    «Was für ein Wunder! Aber wie sind Sie zu den beiden gekommen, mein Guter?»
    Der Fels hingegen, der als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen war, wurde unter Vivat-Rufen in seinen Käfig zurückgeführt. Sein Ruhm kam ihn teuer zu stehen. Eines Morgens fand man ihn ohne Horn. Jemand hatte es ihm in der Nacht abgesägt. Bestimmt hatte der Mann mit der Säge das fröhliche Glucksen der weiblichen Zuschauer nicht vergessen, als dieser ruhmreiche Auswuchs zum Vorschein kam. Unter der Hand bot man den reichsten – und damit auch ältesten – Männern der Stadt ein Pulver an. Selbstverständlich garantierte der Verkäufer dafür, dass es von dem berühmten Horn stammte und wie jenes selbst die Fähigkeit zur Straffung der schlaffsten Gliedmaßen besaß. Man erzählte sich, dass eine junge Frau sich kurz danach über die ungewöhnlichen Leistungen ihres alten Gatten wunderte und sich, noch völlig atemlos, nach dem Grund erkundigte.
    Lissabon ist die Stadt der offenen Geheimnisse. Am nächsten Tag wollte die ganze Bevölkerung dieses Wunderpulver. Um der Nachfrage nachzukommen, steigerte der Verkäufer seine Produktion, indem er immer mehr Zutaten (Muschelschalen, zerstoßene Stierknochen, Strandkiesel…) unter eine immer kleiner werdende Menge Nashornauszug mischte. Irgendwann müssen es die Liebhaber und Liebhaberinnen gemerkt haben: Die Mischung hatte ihre Kraft verloren. Der Händler wurde festgenommen und beendete sein lügnerisches Leben zu Tode geprügelt auf ebendem Prangerplatz, auf dem das gehörnte Monster seinen Triumph gefeiert hatte.
    Die Schiffseigner gaben ihren Kapitänen auf, aus Afrika statt Sklaven mehr von diesen Tieren mitzubringen, die dem Handel ungleich interessantere Aussichten eröffneten. Leider wurden die Tiere irgendwie gewarnt, vielleicht von einem der zahllosen Zugvögel, die in Portugal Zwischenstation machen, und sie versteckten sich. Es gelang lediglich, noch ein einziges zu verfrachten, und das fünf Jahre später, ein Nashornbaby, dessen noch weiches Horn niemanden zum Träumen brachte, weder Frauen noch Männer, nicht einmal diejenigen, die die Natur sehr sparsam ausgestattet hatte.

 
     
     
     
    In sanften Gefilden zu Hause, wo das Klima so gemäßigt und oft allzu ruhig ist, mussten die Portugiesen sich einfach für das wilde Leben begeistern. Wie Kinder bestaunten sie all die mehr oder weniger monströsen Merkwürdigkeiten, Tiere wie Pflanzen, die aus Afrika mitgebracht wurden. In welchen Kirchen der Christenheit konnte man sonst über dem Altar riesige Krokodile aufgehängt sehen?
    Diese Leidenschaft hatte ihre Moden. Nach der Enttäuschung durch die geliebten Nashörner schlug die Stunde der Riesenschildkröten.
    Auf meiner einzigen großen Reise entlang den afrikanischen Küsten habe ich diese seltsamen großen Tiere auf den Kapverdischen Inseln gesehen. Die Bewohner vor Ort verschlangen sie, ohne mit der Wimper zu

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