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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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verpesteten.
    Auf vielen dieser Tiere ebenso wie auf einigen Pflanzen lagen mehr oder weniger flache Holzstücke, auf die man Wörter gekritzelt hatte. Abgesehen vom Gestank hätte es ein Markt sein können, allerdings ein verlassener Markt, auf dem niemand etwas verkaufte oder einkaufte.
    Aus dem Halbdunkel näherte sich eine Gruppe, ein Dutzend grotesker Gestalten. Sie trugen große, spitze Masken wie jene, die man aufsetzt, um sich vor dem Pesthauch zu schützen. Eine Wache brüllte sie an, sie sollten ihr Haupt enthüllen, der König beehre sie mit seinem Besuch. Sofort zeigte sich ein verblüfftes weißes Gesicht, dem entsetzte schwarze folgten: Sklaven, die sich unverzüglich niederknieten und um Gnade flehten.
    «Was geht in dieser Hölle vor?», fragte der König.
    Der Weiße verbeugte sich tief. Dann nahm er wieder Haltung an. Seine Aufmachung erinnerte so wenig an eine Militäruniform, dass die stramme Haltung komisch wirkte.
    «Majestät! Wir versuchen, allen Dingen, die an Land gebracht werden, einen Namen zu geben.»
    Er deutete auf die Sklaven.
    «Und diese helfen mir. Sie kennen als Einzige die Flora und Fauna ihrer afrikanischen Heimat. Sie zeigen mir eine Pflanze oder ein Tier, nennen mir den Namen in ihrem Dialekt, und ich schreibe ihn auf.»
    Der König widersetzte sich erfolgreich den Bemühungen des Alkalden, ihn nach draußen zu ziehen. Auf seine Befragung konzentriert, schien ihn nichts zu stören. Er drückte seine große Zufriedenheit über die geleistete Arbeit aus.
    Doch der Namensfinder hob die Arme zum Himmel:
    «Wir schaffen es nicht mehr, Majestät! Zu viele Eurer Schiffe gehen auf Entdeckungsfahrt, zu viele Eurer Schiffe kehren zurück. Wie sollen wir da allem, was hier eintrifft, so schnell einen Namen geben?»
    Der König fasste einen Minister am Arm und schüttelte diesen energisch:
    «Sorge er dafür, dass dieser Mann die Hilfe erhält, die er benötigt.Und dass dieses Lager innerhalb von fünf Tagen geräumt ist!»
    Die Sklaven hatten von dem Wortwechsel nichts verstanden, aber sie bemerkten die Zufriedenheit des Königs und begannen plötzlich zu singen. Trotz ihres fremden Tonfalls konnte man ahnen, dass sie dem allmächtigen Gott der Christen und seinem Propheten, König Alfons V., dankten.
    Als die Kutsche anfuhr, wagte es der Namensfinder gegen jede Etikette, noch einmal das Wort an den König zu richten:
    «Wenn Sie erlauben, Majestät…»
    «Was gibt es noch?»
    «Es gibt noch einen anderen Grund für unseren Rückstand.»
    «Welche Anmaßung!», warf der Alkalde ein.
    «Die christlichen Namen…»
    In diesem Augenblick griff der Koadjutor des Bischofs ein, den der König respektierte und liebte.
    «Ich kann mir vorstellen, was diesem Mann Sorgen bereitet. Die Frage ist zu schwierig, um hier behandelt zu werden.»
    «Ich werde Sie empfangen.»
    Und zur unendlichen Erleichterung der Höflinge, von denen viele anschließend, vom Gestank überwältigt, tagelang das Bett hüteten, kehrte der König in seinen Palast zurück.
     

    Der Koadjutor war ein kluger Diplomat. Er kannte die Redensarten und Schmeicheleien, die den Mächtigen gefallen.
    «Zur See fahren bedeutet niederknien. Und entdecken heißt beten.»
    So begann der Priester sein Plädoyer. Gab es eine bessere Weise, dem König zu vermitteln, ohne es auszusprechen, dass sein Reich unter dem besonderen Schutz Gottes stand?
    «Euren Seemännern verdanken wir, dass der Ruhm des Herrn mit jeder Reise wächst. Leider…»
    Wie alle guten Geistlichen war auch der Koadjutor ein guterErzähler. Was ist ein Geistlicher anderes als ein Mann, dessen Aufgabe es ist, Gottes Wort zu überbringen? Und was ist ein Erzähler anderes als ein Mann, der jederzeit seine Geschichte beleben kann, um seine Zuhörer wachzurütteln?
    Der König schreckte auf:
    «Leider! Was will er damit sagen?»
    «Ich möchte damit sagen, dass Gott es nicht erträgt, wenn man Seine Schöpfung mit schlecht gewählten Namen bezeichnet, auch wenn es Ihm gefällt, dass sie in ihrem ganzen Reichtum den Menschen nach und nach offenbart wird.»
    Und der Koadjutor beschwor herauf, dass Gott jedes Mal missmutig werde, wenn eines Seiner Werke in dieser oder jener afrikanischen Sprache bezeichnet werde.
    «Wie könnte das Ohr Gottes auch Gefallen am Gestammel dieser Wilden finden?»
    «Ich verstehe dieses Missvergnügen. Aber was können wir zu Seiner Besänftigung tun?»
    «Übersetzen. Jeden Gegenstand und jedes Tier, das in Portugal an Land kommt, in die christliche

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