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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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Ehre erweisen, mag Las Casas auch ungeduldig werden:
    «Herr Gouverneur, es steht Euch frei, Euch hier auszubreiten, Euer Leben als ein Schauspiel von herausragender Bedeutung anzusehen und alles zu erzählen, was darin vorkam, Person für Person. Ich möchte Euch nur daran erinnern, dass die Zeit vergeht und dass die Eure gezählt ist.»
    Immer mit der Ruhe, Dominikaner! Ich verstehe Euch. Lasst mich zumindest Arnaldo Spindel nennen, unseren wichtigsten Spion, den unerreichten Dieb der am besten gehüteten Geheimnisse;Antonio Carvalho, den Erzfeind des Meeres, das drei seiner Brüder verschlungen hatte, weshalb er die Kartographie als einen beispiellosen Kampf gegen die Schurkerei des Ozeans betrachtete; Baptiste Cozinheiro, dessen Religion die Geometrie war, der pedantisch das richtige Maß garantierte, das in den Werken unserer Konkurrenten so oft mit Füßen getreten wurde; Felix Sagres, einen Zauberer der Farben, einen Fürsten des Unauslöschlichen… Und ungeachtet Eurer Verärgerung grüße ich Samuel Toledano. Ohne ihn hätte weder die Werkstatt von Andrea einen solchen Grad an Vortrefflichkeit erreicht, noch wäre Cristóbal zu so großem Wissen gelangt.
    Ob es stimmte oder nicht, er behauptete von sich, Nachfahre des berühmten Abraham Cresques zu sein, des Vaters der ruhmreichen mallorquinischen Schule der Kartographie. Dieser war der mutmaßliche Schöpfer eines Meisterwerks, das in unserem Handwerk als unübertrefflich gilt: des Katalanischen Weltatlas (1375).
    Der Atlas war die Elle, an der Samuel Toledano unsere Arbeiten maß. Jede Karte musste sich, bevor sie unsere Werkstatt verließ und in den königlichen Palast wanderte, einem Vergleich stellen. Wurde eine Karte aus welchem Grund auch immer (unvollständige Informationen, eine nicht gesicherte Linie, zu blasse Farben oder unnötiger Zierrat) als «dem Katalanen nicht würdig» erachtet, musterten wir sie ohne Erbarmen aus.
    Neben dem täglichen Kult, den er dem Weltatlas zuteilwerden ließ, kümmerte sich Samuel einzig und allein um seine Kinder. Während er sprach, nachdachte, las, ließ er seiner rechten Hand freien Lauf, die ihre Gesichter zeichnete. Bälger hatte er in großer Zahl, doch seine Familie schien ihm immer noch nicht groß genug. Seine Frau kam alle zehn Monate nieder. Sie gebar mit einer solchen Regelmäßigkeit, dass man die Zeit danach hätte messen können.
    Eines Tages, als er die Geburt des neunten oder vielleicht zehnten Kindes ankündigte, fragte ich ihn, warum ihm an so viel Nachwuchs lag. Er erwiderte, der Grund sei derselbe, aus dem ich Inseln liebte. Ich machte große Augen.
    «Inseln bilden eine Furt im Raum, Kinder eine Furt in der Zeit.»
    Und da ich offenbar nicht den Eindruck machte, als verstünde ich ihn, fügte er hinzu:
    «Wenn du von Insel zu Insel reist, durchquerst du die See und gelangst von einem Kontinent zum anderen. Wenn du Kinder in die Welt setzt, durchquerst du die Tage und verbindest die Vergangenheit mit der Zukunft.»

 
     
     
     
    Es liegt auf der Hand, dass ich nicht dieselben Vatersorgen hatte wie Samuel. Ich war noch keine zwanzig Jahre alt. Folglich trieb mich nur ein einziger Gedanke um: Mit wem?
    Ich armer Tropf, ich hatte das Goldene Zeitalter verpasst.
    Abends in den Schenken erzählten die Schürzenjäger unablässig von den vergangenen ruhmreichen Zeiten, als nahezu täglich Ehefrauen scharenweise die Hügel hinaufstiegen, um aufs Meer hinaus zu blicken. Es genügte, sich in ihre Nähe zu setzen, ihre Ängste mitzufühlen, ihnen kleine Dienste zu erweisen. Dann wurde man nicht selten heimlich dafür belohnt, manchmal sogar unverzüglich in den benachbarten Pinienwäldern. Doch diese schöne Zeit war vorüber.
    Die Frauen hatten zuletzt begriffen, dass die weite See ihre Beute selten wieder hergibt. Seither begnügten sie sich damit, ihr Fenster offen zu lassen. Wenn der übliche Lärm, der vom Hafen aufstieg, zum Getöse wurde, gab es keinen Zweifel: Eine Karavelle kehrte zurück. Dann zwangen sie sich, mit ruhigem Schritt zum Kai zu gehen, und achteten sorgsam darauf, ihr Herzklopfen zu mäßigen:
    «Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe. Du weißt genau, du wirst enttäuscht sein. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich dein Mann, der schon seit so vielen Jahren fort ist, auf diesem Schiff befindet?»
    Anstatt sich die Augen damit zu verderben, auf den immer leeren Ozean zu starren, wandte man sich lieber gleich an den Kapitänder Kapitäne, der den gesamten Schiffsverkehr des

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