Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
ER WAR SCHWEIGSAM . Er sah die ganze Fahrt über aus dem Fenster des Wagens. Zwei Erwachsene auf dem Vordersitz unterhielten sich leise. Er hätte zuhören können, wenn er gewollt hätte, aber er wollte nicht. Auf dem Straßenabschnitt, den der Fluss manchmal überschwemmte, hörte er unter den Rädern Wasser sprühen. Sie gelangten in das Fort, und der Wagen glitt lautlos an Postgebäude und Glockenturm vorbei. Zu dieser nächtlichen Stunde gab es in Colombo fast keinen Verkehr. Sie fuhren die Reclamation Road entlang aus der Stadt hinaus, vorbei an der Kirche St. Anthony’s, und dann bekam er die letzten Imbissstände zu sehen, jeder von einer einsamen Glühbirne beleuchtet. Danach erreichten sie weites, offenes Gelände, den Hafen, wo nur in der Ferne eine Kette von Lichtern am Pier zu erkennen war. Er stieg aus und blieb neben dem Wagen stehen, an die noch warme Motorhaube gelehnt.
Er hörte die streunenden Hunde, die in der Nähe der Kais lebten, aus der Dunkelheit bellen. Ringsum war kaum etwas zu erkennen – nur im Sprühlicht einzelner Schwefellaternen sah man Uferbewohner, die eine Prozession von Gepäckwagen zogen, hie und da dicht beieinanderstehende Familien, die sich langsam zum Schiff aufmachten.
An jenem Abend, als er an Bord des ersten und einzigen Passagierdampfers in seinem Leben stieg, war er elf Jahre alt und völlig ahnungslos. Das Schiff kam ihm vor, als wäre eine Ortschaft an die Küste angefügt worden, heller beleuchtet als jede Stadt und jedes Dorf. Er ging die Gangway entlang und achtete nur auf den Weg vor seinen Füßen – vor ihm gab es nichts – und ging weiter, bis er den dunklen Hafen und das Meer vor sich sah. Weiter draußen waren die Umrisse anderer Schiffe, deren Lichter aufzuscheinen begannen. Er stand allein da, atmete die Gerüche ein und ging dann durch Lärm und Menschengewühl zu der Seite des Schiffs zurück, die dem Ufer zugewandt war. Gelber Lichtschein über der Stadt. Es war jetzt schon, als trennte ihn eine Mauer von allem, was sich dort ereignete. Stewards reichten bereits Imbisse und Drinks. Er aß mehrere Sandwiches, und dann ging er zu seiner Kabine hinunter, zog sich aus und schlüpfte in die enge Koje. – Er hatte noch nie unter einer Bettdecke geschlafen, außer einmal in Nuwara Eliya. Er war hellwach. Die Kabine lag unter dem Wasserspiegel und hatte deshalb kein Bullauge. Er entdeckte einen Schalter neben seinem Bett, und als er ihn drückte, fiel plötzlich ein Lichtkegel auf seinen Kopf und das Kopfkissen.
Er ging nicht zum Deck hinauf, um einen letzten Blick zurückzuwerfen oder den Verwandten, die ihn hergebracht hatten, zuzuwinken. Er hörte Gesang und stellte sich das langsame und dann zunehmend schnelle Abschiednehmen von Familien in der erregenden nächtlichen Atmosphäre vor. Ich weiß nicht, bis heute nicht, warum er diese Einsamkeit gewählt hat. War derjenige, der ihn auf die Oronsay gebracht hatte, schon verschwunden? Im Film reißen Familienmitglieder sich weinend voneinander los, und das Schiff trennt sich vom Land, während die Verlassenen sich an den entschwindenden Gesichtern festhalten, bis nichts mehr zu erkennen ist.
Ich versuche mir vorzustellen, wer der Junge auf dem Schiff war. Vielleicht hat er, dieser grüne Grashüpfer, diese kleine Grille, wie er da nervös und still in der engen Koje liegt, noch gar kein Gefühl der eigenen Identität, als wäre er zufällig, ohne zu wissen, wie ihm geschah, in die Zukunft geschmuggelt worden.
Er erwachte unversehens, als er Passagiere den Gang entlanglaufen hörte. Also zog er sich wieder an und verließ die Kabine. Irgend etwas ging vor sich. Betrunkenes Johlen erfüllte die Nachtluft, von schimpfenden Besatzungsmitgliedern übertönt. Mitten auf Deck B versuchten Seeleute, den Lotsen festzuhalten. Er hatte das Schiff sorgsam aus dem Hafen hinausgeleitet (viele Fahrrinnen mussten gesunkener Wracks und eines alten Wellenbrechers wegen gemieden werden) und danach zuviel getrunken, um seinen Erfolg zu feiern. Und nun hatte er allem Anschein nach keine Lust, sich zu verabschieden. Noch nicht. Vielleicht eine Stunde oder ein paar Stunden später. Aber die Oronsay wollte Punkt Mitternacht in See stechen, und das Boot des Lotsen wartete an der Wasserlinie. Die Schiffsbesatzung hatte mit aller Macht versucht, ihn an der Strickleiter hinunterzubugsieren, doch da man damit rechnen musste, dass er sich zu Tode stürzte, fingen sie ihn nun wie einen Fisch mit dem Netz und ließen ihn
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