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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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Warum sollte man dem Allmächtigen nicht die eigene Zufriedenheit zeigen? Ist es nicht die Freude seiner Geschöpfe, die den Schöpfer feiert? Hätten sie dieses neue, gewaltige Vorrecht, Latein zu lernen, die Sprache der Diener Gottes, etwa geringschätzen sollen? Die Aussicht auf die Wiederauferstehung habe sie so sehr erfreut, dass sie ihrer Fröhlichkeit freien Lauf gelassen hätten. Solle man sich um das unglaubliche Geschenk, dem immerwährenden Fluch des Todes zu entgehen, etwa überhaupt nicht kümmern? Warum sind die Portugiesen, obwohl sie nach eigenen Aussagen inbrünstig glauben, tagein, tagaus so griesgrämig, wo doch das ewige Leben auf sie wartet?
    Er war nicht mehr zu bremsen. Derselbe Überschwang, der sein Lachen ausgelöst hatte, trieb ihn jetzt dazu zu reden.
    Die Argumentation dauerte lange. Der Priester hatte allergrößteMühe, zum Latein zurückzukehren. Die Kirche schloss, die Unterrichtsstunde musste zu Ende gebracht werden.
    Unser Lehrer strahlte.
    «Heute sind wir nicht weit gekommen mit dem Latein. Aber die Lektion, die wir von diesen Primitiven erhalten haben, ist alle Grammatikstunden wert!»
    Gerührt betrachtete er unsere fünf neuen lebhaften Freunde.
    «Und jetzt tanzen sie! Was für gute Missionare sie sein werden! Dank sei dem Urteilsvermögen unseres Bischofs! Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich ihn ja immer unterstützt. Geht in Frieden. Bis morgen Abend! Vergesst nicht die erste Deklination!»
    So lernten wir Latein in vergnüglicher Gesellschaft mit diesen gefährlichen Dialektikern. Ich nutzte die Gelegenheit, um mich mit ihren Eingeborenensprachen vertraut zu machen.
    Gegen den Willen Cristóbals. Wie üblich gönnte sich mein Bruder keine Pause, keine Abweichung von dem Weg, den er sich vorgenommen hatte. Er hatte beschlossen, dass Latein für ihn wichtig sei, also beschäftigte er sich Tag und Nacht mit nichts anderem. Er begriff nicht, dass ich meine Kräfte aufteilte.
    «Die Zerstreuung ist der Aussatz des Geistes, Bartolomeo! Und du bist unter allen Aussätzigen der am stärksten davon Befallene! Wenn du Kenntnisse erwerben willst, die unserem Unternehmen nützen, dann lerne doch Chinesisch oder die Sprache von Cipangu! Bündele deine Kräfte. Wozu sollen uns die Sprachen des Südens nützen, wenn wir nach Westen fahren?»
    Zu seinem großen Ärger blieb ich meiner Natur treu, die sich so sehr von der seinen unterschied. Ich gönnte mir lange Spaziergänge in der Sprache unserer schwarzen Freunde.
    Und so lernte ich, dass an der Goldküste Wasser
Enchou
heißt. Zur Begrüßung sagt man
Berr berr,
das Huhn ist
Kuke rukuke
und Gold
Schocka.
    Wenn ich mich heute an alle diese Worte erinnere, obwohl ich sehr viel vergessen habe, dann müssen sie in den letzten noch lebendigenNischen meines Gehirns stecken. Eines hat mich immer begleitet. Ich muss es nur aussprechen, und eine Woge der Heiterkeit durchläuft mich, sogar in Momenten tiefster Verzweiflung:
Schock.
    Ich hatte es nur mit Mühe gelernt. Als ich sie fragte, welche Worte man bei ihnen für das Liebesspiel benutze, weigerten sich die angehenden Priester, mir zu antworten. Sie behaupteten, Gott selbst würde erröten, wenn sie es aussprächen.
    Mein Dank gilt dem Portwein: Mit seiner Hilfe lockerten sich diese frommen Zungen.
Schock schock:
So lautet im Süden der Ausdruck für das unsittliche Treiben.
    Da die Stunde der Beichte geschlagen hat, kann ich meinen Bruder in Sachen nützliches Wissen belehren. Zum Leidwesen für mein Seelenheil muss ich gestehen, dass ich wenige Worte so häufig benutzt habe wie diese, so stark war der Reiz, den Dunkelhäutige auf mich ausübten, und er hat mein ganzes Leben lang nicht nachgelassen.
Schock schock.
Ich brauchte nur diese Silben zu wiederholen, damit sich aus Sehnsucht nach einem fernen verlorenen Land die am besten verriegelten Pforten öffneten. Bemerkenswert ist, dass das Wort bis auf einen Buchstaben gleich lautet wie jenes, das man dort für Gold benutzt,
Schocka.
     

    Schließlich meinte Cristóbal, er habe genügend Latein gelernt und in der Stadt habe sich genug herumgesprochen, dass er ein fleißiger Schüler sei. Er konnte zur nächsten Phase seines Feldzugs schreiten.
    Eines schönen Morgens bat er Meister Andrea um ein Gespräch unter vier Augen. Unser Chef verzog das Gesicht. Er rechnete mit dem, was er als alter Geizkragen am meisten fürchtete: einer Forderung nach mehr Lohn, verbunden mit der Drohung, andernfalls bei einem der zahllosen Konkurrenten

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