Die schöne Parfümhändlerin
1. KAPITEL
Venedig, 1525
Ja, er war wirklich tot.
„ Madre di dio“, flüsterte Julietta Bassano, während sie sich über den Leichnam im goldenen Bett beugte. Das einst so blühende Gesicht war fleckig rotblau verfärbt. In dem schwarzen Bart klebten Blut und Erbrochenes, und die weit aufgerissenen Augen starrten ins Leere. Im Todeskampf hatte der arme Mann Arme und Beine weit von sich gestreckt. Sie begannen schon zu erkalten.
Gewiss war es kein leichter Tod gewesen. Julietta kannte diese Qualen, hatte sie bei ihrem eigenen Mann beobachtet. Vor drei Jahren war er auf dem Ehebett zusammengebrochen, hatte sich erbrochen und in Krämpfen gewunden. „Hexe!“, hatte er geschrien. „Zauberin! Ihr habt mich ermordet.“ Mit seinen gichtigen Fingern hatte er an ihrem Gewand gezerrt, überall hatte sein Blut und Erbrochenes geklebt; noch heute war ihr der unerträgliche Gestank gegenwärtig – der Atem des Todes.
Julietta schloss die Augen und versuchte, die Erinnerung zu verscheuchen. Seitdem war schließlich viel Zeit vergangen, und Giovanni hatte das Ende erlitten, das er verdient hatte. Dieser miese Schurke konnte niemanden mehr verletzen – nie mehr.
Genau wie dieser Mann …
Julietta blickte wieder auf den Leichnam. Ein Mitglied der herrschenden Schicht – fett und verweichlicht, dachte sie. Micheletto Landucci. Patrizier der Serenissima, Mitglied des Savio ai Cerimoniali, des Komitees für Staatsbesuche. Sein vornehmes Brokatwams war aufgerissen und enthüllte den dicken, haarigen Bauch. Julietta zog leise die Luft ein – das einzige Zeichen ihres Unmuts – und deckte das Seidenlaken über den Toten, damit ihr sein Anblick erspart blieb.
Hinter sich hörte sie einen leisen, ängstlichen Schluchzer, ein unterdrücktes, erschrockenes Wimmern. Julietta versuchte sich zu beruhigen und atmete tief durch. Beißend stieg ihr der Dunst des Todes in die Nase. Er hing schon in ihren Kleidern, in ihren Haaren. Wie zum Schutz zog sie ihren schwarzen Samtumhang fester um sich, während sie sich nach der Frau umdrehte, die in die Schatten des prunkvollen Schlafgemachs zurückgewichen war. Cosima Landucci, die Gattin – nein, die Witwe – des Mannes unter dem Laken. Im Gegensatz zu ihrem Gemahl trug sie noch ihre kostbare Robe aus blauer Seide mit Goldstickerei. Das dichte dunkle Haar war nach hinten gekämmt, ein paar Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr ins Gesicht. Ihre weichen, glatten Gesichtszüge waren ein untrügliches Zeichen, dass sie sehr viel jünger war als ihr Mann. Sie war fast noch ein Kind.
Ein Kind, dessen Mann vergiftet in seinem Bett lag. Erstaunlich, dachte Julietta, einen Mord hatte sie der scheuen, kleinen Cosima eigentlich nicht zugetraut. Die Menschen überraschten Julietta immer wieder aufs Neue.
„Was ist geschehen?“, fragte sie so einfühlsam wie möglich. Sie kannte die junge Frau. Seit fast zwei Jahren war Cosima eine treue Kundin in Juliettas Parfümladen. Einmal in der Woche kam sie, um ihr ganz spezielles Parfüm – Jasmin und Lilie – zu kaufen und um sich mit Julietta zu unterhalten. Cosima redete und redete dann, als hätte sie keine andere Freundin als die Parfümhändlerin, der sie ihr Herz ausschütten könnte. Immer hatte Julietta geduldig zugehört. Die junge Frau hatte ihr leidgetan. Sie war ihr so unglücklich und einsam erschienen, trotz all ihrer kostbaren Roben und teuren Juwelen. Irgendwie hatte sie Julietta an sich selbst erinnert, an damals, als all ihre Träume von Ehe und Familie angesichts der rauen Wirklichkeit zerbrochen waren.
Doch das hier – das war etwas ganz anderes.
„Nun, Signora?“, drängte Julietta die junge Frau, die unaufhörlich leise schluchzte.
Cosima hielt sich das Spitzentuch vors Gesicht, ihre Hände zitterten. „Ich … ich weiß nicht, was geschehen ist, Signora Bassano.“
„Ihr wart nicht hier? Euer Gatte war schon tot, als Ihr ins Zimmer kamt?“ Julietta sah nachdenklich auf die zierlichen Schuhe und den juwelenbesetzten Haarschmuck auf dem prächtigen türkischen Bettvorleger.
Cosima, die ihrem Blick gefolgt war, schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die roten Locken über die Schultern fielen. „Doch, ich war hier. Wir waren gerade von einem Abendessen gekommen, und er … er …“, versuchte sie mit leiser, fast kindlicher Stimme zu erklären.
„… verlangte seine ehelichen Rechte?“
Cosima nickte verlegen.
„Hmm … Und was hat er sonst noch getan?“
„Ge…getan?“
Julietta unterdrückte
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