Fragen, um mehr darüber zu erfahren. Vor allen Dingen, um den Steuermann bei Stange zu halten, da er kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Er wiederholte immer nur:
Ich konnte noch so sehr auf ihn einreden, zu mehr ließ sich der Steuermann nicht bewegen. Unmöglich, ihm auch nur ein einziges weiteres Wort zu entlocken. Als ich ihn fragte, wo er auf der Insel nächtige, schüttelte er nur den Kopf. Die Nacht kam ihm zu Hilfe. Er verschwand darin.»
Die Geschichte vom unbekannten Steuermann hat Cristóbal immer für sich behalten. Er hat sie nie verbreitet, ist nie mit ihr hausieren gegangen, hat sie nie als Waffe benutzt. Nicht in den schwierigsten Momenten und nicht in seinen einsamsten Stunden, als niemand seinen Darlegungen den geringsten Glauben schenkte. Nicht vor der Mathematiker-Kommission, um ihrem Spott ein Ende zu setzen, und nicht einmal dann, als er die Durchführung seines Unternehmens und also sein Leben aufs Spiel setzte.
Mir hat er die Geschichte nur ein einziges Mal erzählt.
Mit leiser Stimme.
Nachdem er sich gründlich vergewissert hatte, dass niemand zuhören konnte.
Nachdem er mich beim Namen unserer Mutter hatte schwören lassen, dass ich unter keinen Umständen – «schwöre noch einmal, Bartolomeo, sprich mir nach, im Namen unserer Mutter werde ich unter keinen Umständen…» – irgendjemandem etwas davon erzählen würde.
Er hatte Angst, während er sprach. Angst, dass seine Geschichte verblassen, sich verflüchtigen könnte.
Ich wurde nervös.
Erst sehr viel später verstand ich seine Befürchtung: Manche Geschichten sind so unbeständig wie Gespenster. Und mein Bruder wäre zweifellos schlagartig in sich zusammengesunken wie ein Mensch, dem man sein Skelett herausreißt, hätte man ihm diese Geschichte vom unbekannten Steuermann entwendet.
Vielleicht hatte sich bei meinem Bruder auf Madeira eines Abends wirklich ein Mann als Steuermann vorgestellt und ihm seine Geschichte anvertraut? Vielleicht hatte dieser Mann gelogen? Vielleicht sagte er nichts als die Wahrheit, ohne ein Wort des Kommentars und ohne sie auch nur durch ein einziges Bild auszuschmücken?
Vielleicht hat es diesen unbekannten Steuermann nie gegeben, wenigstens nicht in der menschlichen Gestalt, von der mein Bruder erzählt hat?
Vielleicht war der unbekannte Steuermann nichts anderes als das Wort Gottes, dem Cristóbal ein Gesicht und die Stimme eines Seemanns verliehen hat?
Vielleicht war diese Geschichte ein Geschenk seiner Schwiegermutter, Senhora Perestrello, geborene Moniz, die ihren Schwiegersohn für seine künftigen Großtaten aus vollen Kräften unterstützen wollte?
Vielleicht hat sie ihm dieses Geschenk für die fehlende Mitgift gemacht?
Vorstellbar ist auch, dass Cristóbal sich der Geschichte bemächtigte.
Denn Geschichten dienen sich schamlos dem Letzten an, der sie gehört hat. Man erfährt sie von jemandem, der sie von jemand anderem erfahren hat, der sie von wieder einem anderen hat, der sie selbst wiederum…
Vielleicht hat er nichts gehört, weder eine innere Stimme noch eine andere? Vielleicht hat Cristóbal auf Madeira nur Fischer getroffen? Vielleicht hat er die Gestalt des Steuermanns erfunden, weil er sie brauchte? Vielleicht genügte ihm das Vertrauen seiner Brüder nicht?
Vielleicht kann man sich mehr auf die Lüge als auf die Wahrheit verlassen? Weil die Lüge aus dem tiefsten Innern der Person kommt, während die Wahrheit anderswoher stammt.
So viel ist sicher, und heute, da mir die Zeit den Abstand gibt, um jeder Person und jedem Ereignis seinen Anteil am Erfolg des Unternehmens zuzuteilen, ist es nach meiner Überzeugung sicherer denn je: In dieser Geschichte vom unbekannten Steuermann ruhte der Schatz meines Bruders, lag seine Kraft, sein Heiligtum.
Nie hat ihn diese Geschichte im Stich gelassen. Immer konnte er sich an ihr festhalten, selbst in den schwierigsten Momenten.
Ich erinnere mich gut.
Während der ganzen Zeit, in der die königlichen