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Cristóbal

Cristóbal

Titel: Cristóbal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Orsenna
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Mathematiker das Unternehmen Indien ein ums andere Mal behinderten, ließ ich das Gesicht meines Bruders nicht aus den Augen. Nie entbehrte er eines Lächelns, dessen Quelle ich genau kannte: die Geschichte vom unbekannten Steuermann. Wer tief in sich ein Geheimnis birgt, an das niemand herankommt, dem kann kein Missgeschick etwas anhaben.
    Was mich betrifft, so habe ich nicht Wort gehalten. Sobald Cristóbal weg war, habe ich nach diesem Steuermann gesucht.
    Nie hat eine Hafenstadt so über jemanden gelacht wie Lissabon über mich:
    «Hinter wem bist du her, Bartolomeo? Hinter einem Steuermann? Einem Steuermann, der angeblich von der anderen Seite der Erde kommt und bereit ist, davon zu erzählen? Nun, Bartolomeo, du weißt doch, dass
alle
Steuermänner irgendwann einmal die Rückseite der Welt erreicht haben und dass
alle
bereit sind, von dieser Entdeckung zu erzählen, vorausgesetzt, man öffnet ihnen den Mund mit einem Glas Bier oder Wein. Überhaupt, wie sieht dein Steuermann aus? Ist er groß, blond, vom Schlag der Wikinger? Oder klein, gedrungen, mit olivfarbener Haut, vom Schlag der Griechen oder Zyprioten? Armer Bartolomeo, er hat immer eine Fracht unmöglicher Aufgaben an Bord, und alles aus Liebe zu seinem Bruder! Armer Bartolomeo, wir versprechen dir, wir werden deinem Bruder bei seiner Rückkunft nichts von dienenverrückten Nachforschungen erzählen. Du bist ein netter Kerl. Wir sehen zu, dass du dich nicht verächtlich bei ihm machst.»

 
     
     
     
    Nachdem Andrea uns verlassen hatte, mussten wir ein Auskommen finden, das uns ernährte. Angebote unserer Konkurrenten anzunehmen, wäre uns unwürdig erschienen. Eine solche Kränkung hatte der Meister nicht verdient, der uns so viel über die Kunst der Kartographie beigebracht hatte. Wir beschlossen, uns selbstständig zu machen. Vornehmlich mit Büchern. Der Entschluss war uns bei der wiederholten Lektüre und den Randnotizen zur
Ymago mundi
gekommen. Es schien uns, als erzählten die Wörter reichhaltigere und vielfältigere Geschichten als die gezeichneten Küstenlinien.
    Und ich hatte noch nützliche Beziehungen von meiner Reise nach Straßburg und Löwen. Auch dachte ich, dass die neue Technik des Druckens eine Welle war: Es würde ausreichen, sich von ihr tragen zu lassen.
     

    Verdient ein Buchhändler diese edle Bezeichnung, dessen Buchhandlung nur eine armselige und winzige Bruchbude ist, in der zwei Menschen nicht mit hundert Werken zusammen Platz haben? Wenn es vorkam, dass mein Bruder und ich gemeinsam dort arbeiteten, mussten wir die beiden Truhen auf die Straße schieben, in denen jene Bücher vor sich hin moderten, die auf einen Platz auf unseren drei bereits übervollen Regalbrettern warteten. Und wir beteten zu Gott, dem Verfasser der Bibel und damit einemVerbündeten der Buchhändler, dass es nicht regnen möge. Der einzige Vorteil dieses Rattenlochs war seine Lage, direkt bei der Kirche Corpo Santo, an dem Weg also, welchen die Kapitäne nehmen, die es den Tieren gleichtun und immer denselben Weg zu ihren Wasserstellen (bei den Kapitänen der Hafen) einschlagen.
    Nicht vergessen werde ich die Tage mit unbeständigem Wetter, an denen wir, doppelt genäht hält besser, einem Jungen eine Münze gaben, damit er beim ersten Regentropfen Alarm schlug. Man kennt den eifersüchtigen Hass des Wassers auf alles Geschriebene. Das Vergnügen, ein Buch zu durchweichen, seine Sätze aufzulösen, lässt sich das Wasser niemals entgehen, als ob die Schrift eine Konkurrentin wäre. Bestimmt denkt das Wasser, sein Lauf, sein Fließen wiege sämtliche Erzählungen auf und mache sie nutzlos.
    Zum Glück beehrte mich Cristóbal selten mit seiner Gegenwart in unserer Bude.
    Ich musste nicht lange über mangelnde Mitarbeit trauern. Mein Bruder gehörte eindeutig zu jener für das Geschäft tödlichen Kategorie von Buchhändlern, die diese Zunft nur gewählt haben, um in aller Ruhe und nach Herzenslust noch mehr zu lesen, ohne etwas dafür auszugeben.
    Ich wünsche keinem Buchhändler einen Bruder (oder einen Gesellschafter oder, schlimmer noch, einen Bruder und Gesellschafter) wie den meinen.
    Morgens kam er, um seine Menge an Gedrucktem auszuwählen, und abends brachte er die Bücher mit seinen Kommentaren zurück.
    Er trug mir zahllose Bestellungen von Werken auf, von denen er, wer weiß wie, Wind bekommen hatte und die für ihn, wie er mir versicherte, unverzichtbar und dringend seien. Es fehlte nicht viel, und ich hätte meine ganze Zeit darauf

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