Cronin, Justin
her
schwenkte. Einfach unglaublich.
»Glaubst du, sie leben noch?«
Alicia antwortete nicht gleich. »Ich weiß es
nicht«, sagte sie dann. »Wahrscheinlich nicht. Kann aber nicht schaden, zu
warten.« Wieder schwieg sie. Es gab nicht viel dazu zu sagen. »Glaubst du, ich
war heute zu streng zu Maus?«
Die Frage überraschte ihn. Solange er Alicia
kannte, hatte sie noch nie nachträgliche Bedenken geäußert. »Nein, du hast es
richtig gemacht.«
»Aber sie ist ein Verlust für die Wache. Das
kannst du nicht bestreiten.«
»Egal. Du hast es selbst gesagt. Maus kennt die
Regeln so gut wie jeder andere.«
»Ich würde lieber sie als Galen behalten.« Sie
stöhnte. »Was zum Teufel findet sie bloß an diesem Kerl?«
Peter hob den Kopf. Der Himmel war so übersät
von Sternen - fast war es, als könnte er die Hand ausstrecken und sie berühren.
Noch nie im Leben hatte er etwas so Schönes gesehen. Er musste an die Ozeane
denken, an ihre Namen in dem Buch, die klangen wie Worte aus einem Lied -
Atlantik, Pazifik, Indischer Ozean, Polarmeer -, und an seinen Vater, der am
Meeresufer gestanden hatte. Vielleicht waren die Sterne das, was Auntie gemeint
hatte, wenn sie von Gott sprach. Von dem alten Gott, aus der Zeit Davor. Vom
Gott des Himmels, der über die Welt wachte.
»Musst du je ...«, begann Alicia, »ich weiß
nicht ... daran denken?« Peter sah sie an. Sie spähte immer noch durch das
Nachtsichtgerät. »Woran denken?«
Alicia lachte nervös. Das hatte er noch nie von
ihr gehört. »Muss ich es wirklich aussprechen? Dich zu verheiraten, Peter. Kinder zu bekommen.«
Doch. Natürlich hatte er daran gedacht. Fast
alle verheirateten sich, wenn sie erst zwanzig waren. Aber die Arbeit bei der
Wache machte es schwer. Man war die ganze Nacht auf und verschlief fast den
ganzen Tag, oder man lief halb benebelt vor Erschöpfung herum. Aber wenn Peter
sich dieser Frage ernsthaft stellte, wusste er, dass das nicht der einzige
Grund war. Etwas an dieser Vorstellung erschien ihm einfach unmöglich, sie
traf auf andere zu, aber nicht auf ihn. Es hatte Mädchen in seinem Leben
gegeben, und dann auch ein paar, die er als Frauen bezeichnet hätte, und jede
hatte ein paar Monate in Anspruch genommen und ihn in einen Zustand versetzt,
in dem sie für kurze Zeit praktisch das Einzige war, woran er dachte. Aber am
Ende hatte er sich immer wieder von ihnen entfernt oder sie aus irgendeinem
unerklärlichen Grund zu jemand anderem manövriert, den er besser geeignet fand.
»Eigentlich nicht, nein.«
»Und was ist mit Sara?«
Er spürte, dass er in Abwehrstellung ging. »Was
soll mit ihr sein?«
»Ach, komm, Peter.« Sie klang genervt. »Ich
weiß, dass sie sich mit dir zusammentun will. Das ist kein Geheimnis. Sie kommt
auch aus einer Ersten Familie, und es wäre eine gute Verbindung. Das finden
alle.«
»Was hat denn das damit zu tun?«
»Ich sag's nur. Liegt doch auf der Hand.«
»Na, für mich nicht.« Er schwieg kurz. So hatten
sie noch nie miteinander gesprochen. »Hör zu, ich mag Sara. Ich bin nur nicht
sicher, ob ich sie heiraten will.«
»Aber willst du
es? Ich meine, heiraten?«
»Eines Tages. Vielleicht. Lish, warum fragst du
mich das?«
Wieder drehte er sich um und sah sie an. Sie
spähte durch ihr Zielfernrohr ins Tal und schwenkte den Gewehrlauf dabei
langsam über den Horizont.
»Lish?«
»Warte. Da bewegt sich was.« Er ging wieder in
Position. »Wo?«
Alicia hob kurz das Gewehr und deutete auf »zwei
Uhr«.
Er schaute durch sein Nachtsichtgerät. Eine
einzelne Gestalt huschte von einem Busch zum nächsten, etwa hundert Meter weit
vor dem Zaun. Ein Mensch.
»Das ist Hightop«, sagte Alicia.
»Woher weißt du das?«
»Er ist zu klein für Zander. Und sonst ist hier
draußen niemand.«
»Ist er allein?«
»Ich kann's nicht erkennen. Warte. Nein. Zehn
Grad nach rechts.«
Peter schwenkte hin. Etwas leuchtete grün,
hüpfte über den Wüstenboden wie ein flacher Stein. Dann sah er den zweiten und
den dritten Viral, noch zweihundert Meter weit entfernt, aber sie kamen näher.
»Was machen sie denn? Warum greifen sie ihn sich
nicht einfach?«
»Ich weiß es nicht.«
Dann hörten sie es.
»Hey!« Das war Calebs Stimme, schrill und wild
und voller Angst. Er rannte jetzt auf den Zaun zu und wedelte mit den Armen.
»Macht das Tor auf, macht das Tor auf!«
»Scheiße!« Alicia
sprang auf. »Komm schon.«
Sie sprangen hinunter in die Dachkammer, und
Alicia riss eine der Kisten neben der Luke auf und
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