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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Fisher den Hauptschalter
umlegte und das Ganze - die menschliche Zivilisation selbst - wieder in Gang
setzte.
    Er verbrachte zu viel Zeit allein im Lichthaus.
Elton war zwar auch dort, doch das war so, als sei niemand da. Sie redeten
nicht miteinander. Kein lockeres »Was macht das Wetter?« oder »Was gibt's zum
Abendessen?« So war es nun mal.
    Doch da draußen war immer noch jede Menge Saft,
das wusste Michael. Dieselgeneratoren, so groß wie eine ganze Stadt.
Gigantische Gasturbinen, prallvoll mit Flüssiggas, die nur gestartet werden
mussten. Ausgedehnte Solarzellenanlagen, die ihren starren Blick in die Wüstensonne
richteten. Atombomben im Westentaschenformat, die vor sich hinbrummten wie eine
nukleare Ziehharmonika, während die Hitze in den Kontrollstäben im Laufe der
Jahrzehnte immer weiter anstieg, bis die ganze Kiste eines Tages durch den
Boden brannte und in einer Wolke von radioaktivem Dampf explodierte. Und
irgendwo hoch oben würde ein längst vergessener Satellit, angetrieben von
seiner eigenen winzigen Nuklearzelle, in dieser Wolke die Todesqualen eines
sterbenden Bruders erkennen, bevor auch er sich verdunkelte und kopfüber zur
Erde stürzte, mit einem Kometenschweif, den niemand sah.
    Was für eine Verschwendung. Und die Zeit wurde
knapp.
    Rost, Korrosion, Wind, Regen. Die knabbernden
Zähne von Mäusen, ätzender Insektenkot, der gierige Fraß der Jahre. Der Krieg
der Natur gegen die Maschinen, der chaotischen Kräfte des Planeten gegen die
Werke des Menschen. Die Energie, die der Mensch aus der Erde gezogen hatte,
wurde unerbittlich wieder hineingesogen, versickerte wie Wasser in einem
Abfluss. Bald - wenn es nicht schon so weit war - würde kein einziger
Hochspannungsmast auf Erden mehr stehen.
    Die Menschheit hatte eine Welt erbaut, die
hundert Jahre brauchen würde, um zu sterben. Ein Jahrhundert, bis die letzten
Lichter ausgingen.
    Das Schlimmste war, er würde dabei sein, wenn es
passierte. Die Stromspeicher zersetzten sich. Sie zersetzten sich rapide. Er konnte es mit eigenen Augen sehen, auf dem Bildschirm
seiner schlachterprobten Kathodenstrahlröhre mit ihren pulsierenden grünen
Streifen. Für welche Lebensdauer waren diese Zellen gebaut? Dreißig Jahre?
Fünfzig? Dass sie nach fast einem Jahrhundert überhaupt noch imstande waren,
einen Rest von Ladung zu speichern, war ein Wunder. Die Turbinen mochten sich
bis in alle Ewigkeit im Wind drehen, aber ohne Akkus, die den Strom
speicherten, genügte eine einzige windstille Nacht.
    Die Akkus ließen sich nicht reparieren. Sie
mussten ersetzt werden. Man konnte so
viele Dichtungen erneuern, wie man wollte, man konnte die Korrosionsspuren
beseitigen und das Ganze neu verdrahten, bis man einen langen Bart hatte. Das
alles war nicht mehr als eine Beschäftigungstherapie, denn die Membranen waren
erledigt. Sie waren verkocht, die Polymer-Leiterbahnen hoffnungslos verklebt
von Schwefelsäuremolekülen. Wenn die U. S. Army nicht irgendwann mit einer
Ladung fabrikneuer Akkus hier aufkreuzte - hey, sorry, wir haben euch ganz
vergessen! -, dann würden die Lichter ausgehen. In einem Jahr, maximal in
zweien. Und wenn das passierte, würde er, Michael »Akku«, aufstehen und sagen
müssen: Hört zu, Leute, ich hob eine nicht so tolle
Neuigkeit. Die Vorhersage für heute Nacht? Dunkelheit mit verbreitetem
Schreien. Es hat Spaß gemacht, die Scheinwerfer in Gang zu halten, aber jetzt
muss ich sterben. Wie ihr alle.
    Der Einzige, dem er es gesagt hatte, war Theo.
Nicht Gabe Curtis, der formal gesehen die Aufsicht über Licht und Strom führte,
sich aber, als er krank geworden war, die meiste Zeit abgemeldet und es Michael
und Elton überlassen hatte, den Laden zu führen. Und auch nicht Sanjay oder Old
Chou oder sonst jemandem. Nicht einmal seiner Schwester Sara. Warum hatte er
mit Theo darüber gesprochen? Sie waren Freunde. Theo hatte einen Sitz im
Haushalt, dem Obersten Rat der Kolonie. Freilich, Theo hatte etwas
Schwermütiges an sich, und es war hart, einem Mann zu sagen, dass er und alle
andern, die er kannte, im Grunde dem Tod geweiht waren. Vielleicht hatte
Michael dabei auch nur an den Tag gedacht, an dem er es würde verkünden müssen.
Und insgeheim gehofft, dass Theo ihm das abnehmen oder ihm zumindest den Rücken
stärken würde. Doch selbst Theo, der besser informiert als die meisten war,
betrachtete die Akkus offensichtlich als dauerhafte Einrichtung der Natur.
Nicht als etwas von Menschen Gemachtes und von den Gesetzen der

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