Cronin, Justin
wie viele? - elf Leute tot. Sie ist der Grund dafür, dass die Virais
hier sind!«
»Das wissen wir nicht, Sam.«
»Ich weiß es. Und alle andern
wissen es auch. Caleb und dieses Mädchen - damit hat alles angefangen. Und mit
ihnen soll auch alles wieder aufhören, sage ich.«
Peter hörte, wie sich hier und da Stimmen
erhoben. Das Mädchen, das Mädchen, murrten
die Leute. Er hat recht. Es war das Mädchen.
»Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?«
»Was ihr tun sollt?«,
fragte Sam. »Das, was ihr schon längst hättet tun sollen. Die beiden gehören
vor die Mauer.« Er sah die Menge an. »Hört auf mich, Leute! Die Wache spricht
es nicht aus, aber ich werde es tun. Armbrüste können uns nicht schützen, nicht
davor. Ich sage, wir werfen sie sofort hinaus!«
Und dann kam der erste zustimmende Ruf aus der
Menge. Noch einer, und noch einer, und die Stimmen wurden zum Chor.
Werft sie raus! Werft sie raus! Werft sie raus!
Es war, als sei plötzlich ein Damm gebrochen,
der die Sorgen und Befürchtungen eines ganzen Lebens zurückgehalten hatte.
Vorn fuchtelte Ian mit den Armen und verlangte lautstark Ruhe. Jeden
Augenblick konnte es zu Gewalttätigkeiten kommen, zu irgendeinem schrecklichen Ausbruch.
Es war nicht aufzuhalten; die Fassade der Ordnung war zusammengebrochen.
Und er begriff: Er musste das Mädchen
fortschaffen. Caleb auch, denn dessen Schicksal war jetzt mit ihrem verbunden.
Aber wo konnten sie hin? Wo wären sie in Sicherheit?
Er drehte sich zu Alicia um, doch sie war nicht
mehr da.
Dann sah er sie. Sie hatte sich durch die
brodelnde Menge gedrängt, und mit einem Satz sprang sie auf den Tisch und
drehte sich zu den Leuten um.
»Hey!«, schrie sie. »Hört mir zu!«
Peter spürte, wie alle sich anspannten, und eine
ganz neue Angst strömte durch seine Adern. Lish, dachte er, was hast du vor?
»Das Mädchen ist nicht der Grund dafür, dass sie
gekommen sind«, erklärte Alicia. »Ich bin es.«
»Komm da runter, Lish!«, bellte Sam. »Du hast
hier nichts zu entscheiden!«
»Es ist alles meine Schuld. Die Virais sind
nicht hinter dem Mädchen her, sondern hinter mir. Ich habe die Bibliothek angezündet. Damit hat es angefangen.
Dort war ein Nest mit Virais, und ich habe sie alle hierhergeführt. Wenn ihr
jemanden hinauswerfen wollt, dann muss ich es sein. Meinetwegen sind all diese
Leute gestorben.«
Milo Darreil reagierte als Erster und stürzte
zum Tisch. Es war nicht klar, ob er Alicia packen wollte oder Ian oder sogar
Walter, aber er brachte das Fass zum Überlaufen. Mit Geschiebe und Gedränge
wogte die Menge nach vorn, eine kaum koordinierte Masse, die nur von sich
selbst vorangetrieben wurde. Sie überrannten den Tisch, und Peter sah, wie
Alicia rückwärts taumelte und im Gedränge unterging. Die Leute schrien und
brüllten. Diejenigen, die Kinder hatten, wollten sich anscheinend zurückziehen,
und die andern wollten nur nach vorn. Peter hatte nur einen Gedanken: Er musste
zu Alicia. Aber sosehr er sich bemühte, er steckte im Gedränge fest. Er spürte,
dass er auf jemanden trat. Es war Jacob Curtis; der Junge war hingefallen und
hielt die Hände über den Kopf, um sich vor den trampelnden Füßen zu schützen.
Peter fiel über Jacobs breiten Rücken, rappelte sich wieder auf und wühlte sich
durch das Gewirr von Armen und Beinen weiter voran. Wie ein Schwimmer in einem
Meer von Menschen schob er die Leute vor ihm rechts und links zur Seite. Jemand
schlug ihm mit der Faust an den Hinterkopf - offenbar absichtlich. Vor seinen
Augen blitzte es auf, er fuhr herum und holte aus, und seine Faust traf
klatschend in ein bärtiges Gesicht mit dichten Brauen. Erst später wurde ihm
klar, dass es Hodd Greenberg gehörte, Sunnys Vater. Dann war er vorn
angekommen. Alicia lag am Boden. Wie Jacob bedeckte sie den Kopf mit beiden
Händen und hatte sich zu einer Kugel zusammengekrümmt, um sich vor einem Hagel
von Faustschlägen und Tritten zu schützen.
Peter brauchte nicht lange nachzudenken. Er zog
das Messer.
Was vielleicht als Nächstes passiert wäre,
sollte Peter nicht erfahren. Denn vom Tor herauf kam eine zweite Welle von
Menschen: die Wache. Ben und Galen mit ihren Armbrüsten, Dale Levine, Vivian
Chou, Hollis Wilson und die anderen. Mit schussbereiten Waffen bildeten sie
eine Kampflinie zwischen dem Tisch und der Menge, und ihr bloßes Erscheinen
ließ die Leute hastig zurückweichen.
»Geht nach Hause!«, brüllte Ian. Sein Haar war
feucht von Blut, das seitlich an seinem
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