Cronin, Justin
Zuflucht aufgestellt hatte. Nur zwei Männer saßen
vor den Leuten: Walter Fisher und Ian Patal. Walter sah zerzaust wie immer aus,
ein Wrack aus fettigen Haaren, tränenden Augen und schmutzigen Kleidern, die er
wahrscheinlich schon die ganze Jahreszeit hindurch getragen hatte. Dass er
jetzt als kommissarisches Oberhaupt des Haushalts oder dessen, was von ihm noch
übrig war, amtierte, war eine der weniger verheißungsvollen Tatsachen dieses
Tages, dachte Peter. Ian sah viel besser aus, aber selbst er wirkte nach den
Ereignissen der Nacht eher zögerlich und unsicher und hatte schon Mühe, die Versammlung
zur Ordnung zu rufen. Peter war nicht ganz klar, welche Rolle er genau spielte
- saß er hier als ein Patal oder in seiner Eigenschaft als First Captain? -,
doch das war auch eine eher unwichtige Formalität. Einstweilen hatte Ian das
Kommando.
Peter stand mit Alicia am Rand und ließ den
Blick über die Versammlung wandern. Auntie war nirgends zu sehen, aber das
wunderte ihn nicht. Es war viele Jahre her, dass sie an einer öffentlichen
Versammlung des Haushalts teilgenommen hatte. Auch Michael, der ins Lichthaus
zurückgekehrt war, sah er nicht, und Sara war noch im Krankenrevier. Er sah
Gloria, die ganz vorn stand, aber nicht Sanjay; ringsum spekulierte man
sorgenvoll darüber, wo er und Old Chou wohl sein mochten. Die Leute wussten
einfach nicht, was hier mit ihnen passierte. Aber es war Besorgnis, was er
wahrnahm, wenigstens bisher. Panik war noch nicht ausgebrochen, doch für Peter
war es nur eine Frage der Zeit. Die nächste Nacht würde kommen.
Er sah andere Gesichter, die er lieber nicht
gesehen hätte - die Gesichter derjenigen, die bei dem Angriff einen
Ehepartner, Vater oder Mutter oder ein Kind verloren hatten. Cort Ramirez
gehörte dazu und Russell Curtis, Danas Mann, der bei seinen Töchtern Ellie und
Kat stand; alle waren wie gelähmt. Da war Karen Molyneau mit ihren beiden Mädchen
Alice und Avery, auch sie todtraurig, und Milo und Penny Darreil, deren Sohn
Kip, ein Läufer, nur fünfzehn Jahre alt geworden war - der Jüngste unter den
Getöteten. Hodd und Lisa Greenberg, Sunnys Eltern. Addy Phillips und Tracey
Strauss, die über Nacht zehn Jahre älter geworden war und alle Lebenskraft
verloren hatte. Constance Chou, Old Chous junge Frau, drückte ihre Tochter
Daria mit wütender Entschlossenheit an sich, als könne auch sie ihr sonst
verloren gehen. An diese Gruppe von Trauernden - denn sie standen da wie eine
geschlossene Einheit; der schwere, schmerzliche Verlust verband sie und hielt
sie zugleich von den andern getrennt, wie durch einen Magneten -, an dieses
Häuflein schien Ian seine Worte zu richten, als ein wenig Ruhe eingekehrt war.
Ian begann mit der Aufzählung der Fakten, die
Peter schon zum größten Teil kannte. Kurz nach Halbnacht waren aus unbekannten
Gründen die Scheinwerfer ausgefallen. Ursache war anscheinend ein kurzer Überspannungsstoß
gewesen, der den Unterbrecherschalter ausgelöst hatte. Der Einzige, der sich zu
diesem Zeitpunkt im Lichthaus aufgehalten hatte, war Elton, der hinten
geschlafen hatte. Der diensthabende Ingenieur, Michael Fisher, hatte die
Baracke kurz verlassen, um einen der Lüfter am Stromspeicher manuell
zurückzusetzen, und das Steuerpult war in dieser Zeit nicht besetzt gewesen. In
dieser Hinsicht, versicherte Ian, sei Michael kein Vorwurf zu machen. Dass er
das Lichthaus verlassen habe, um sich um die Belüftung zu kümmern, sei völlig
in Ordnung; den Stromstoß, der den Unterbrecherschalter ausgelöst hatte, habe
er nicht voraussehen können. Alles in allem waren die Scheinwerfer weniger als
drei Minuten lang ausgeschaltet gewesen - so lange hatte Michael gebraucht, um
durch die Dunkelheit zurückzulaufen und das System neu zu starten -, aber in diesem
kurzen Zeitraum war die Mauer überwunden worden. Der letzte Bericht meldete
einen großen Schwarm, der sich am Rand des Schussfelds versammelte. Als der
Strom wieder eingeschaltet war, waren drei Seelen gefallen: Jimmy Molyneau,
Soo Ramirez und Dana Jaxon. Alle drei waren am Fuße der Mauer gesehen worden,
wo sie weggeschleift wurden.
Das war die erste Angriffswelle. Ian fiel es
sichtlich schwer, die Fassung zu bewahren, als er berichtete, was als Nächstes
passiert war. Zwar hatte sich der erste große Schwarm zerstreut, aber ein
zweiter, kleinerer Dreierschwarm hatte sich von Süden her genähert und bei
Plattform sechs einen Angriff unternommen - bei derselben Plattform, auf der
Arlo Wilson
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