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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
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Gesicht herunter und in den Kragen
seines T-Shirts lief. Er war rot vor Wut, und der Speichel flog in funkelnden
Tröpfchen von seinen Lippen. Er schwenkte die Armbrust über die Menge, als könne
er nicht entscheiden, auf wen er zuerst schießen sollte. »Der Haushalt ist
vorläufig aufgelöst! Ich rufe das Kriegsrecht aus! Ab sofort herrscht
Ausgangsperre!«
    Alles erstarrte in einer spröden Stille. Alicia
lag allein da. Als Peter neben ihr auf die Knie fiel, wandte sie ihm ihr
staubverschmiertes Gesicht zu und sah ihn eindringlich an. Das Weiße in ihren
Augen war riesengroß.
    Mit den Lippen formte sie ein einziges Wort.
»Geh.«
    Er richtete sich auf und tauchte in der Menge
unter. Manche standen, andere lagen am Boden, und einige halfen den Gestürzten
wieder auf die Beine. Alle waren voller Staub. Peter schmeckte ihn im Mund. Walter
Fisher saß neben dem umgestürzten Tisch und hielt sich den Schädel. Sam und
Milo waren nirgends zu sehen. Sie hatten sich verdrückt.
    Zwei Wächter, Galen und Hollis, hatten Alicia
aufgehoben. Sie leistete keinen Widerstand, als Ian ihr die Messer abnahm.
Peter sah ihr an, dass sie verletzt war, aber er konnte nicht erkennen, wo. Ihr
Körper sah schlaff und starr zugleich aus, als halte sie Schmerzen in Schach.
Ihr Zopf hatte sich aufgelöst, und ein Ärmel ihres T-Shirts war abgerissen und
hing nur noch an ein paar Fäden. Ian und Galen nahmen sie jetzt in die Mitte
und hielten sie fest wie eine Gefangene. In dem Moment begriff Peter, dass sie
die Wut der Leute auf sich gelenkt hatte, um ihnen beiden ein bisschen Zeit zu
verschaffen. Schon um die aufgebrachte Menge unter Kontrolle zu bringen, würde
Ian sie jetzt ins Gefängnis sperren müssen. Halte
dich bereit, hatte ihr Blick ihm gesagt.
    »Alicia Donadio«, rief Ian jetzt so laut, dass
alle ihn hören konnten. »Du bist wegen Verrats verhaftet.«
    »Schmeißt das Dreckstück raus!«, schrie jemand.
    »Ruhe!« Aber Ians Stimme klang dünn und zittrig.
»Ihr habt gehört, was ich gesagt habe. Ihr geht sofort in eure Häuser. Die Tore bleiben bis auf Weiteres
geschlossen. Die Wache wird jeden festnehmen, der im Freien angetroffen wird,
und sie wird auf jeden schießen, der eine Waffe trägt. Und glaubt ja nicht,
ich werde es in irgendeiner Form zurücknehmen! «
    Und in einer Welt, die ihm völlig fremd geworden
war, unter Leuten, die er nicht kannte, sah Peter zu, wie die Wache Alicia
abführte.
     
    37
     
    In der Zuflucht hatte Mausami Patal eine
unruhige Nacht und einen noch unruhigeren Morgen bei den Kleinen im
Klassenzimmer im ersten Stock verbracht. Die Andere Sandy, deren Mann Sam im
Morgengrauen hereingekommen war, hatte ihr von den schrecklichen Ereignissen
der Nacht berichtet, und Mausami hatte einen Entschluss gefasst.
    Der Gedanke war ihr still und plötzlich
gekommen. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie ihn dachte. Aber beim Aufwachen
hatte sie das deutliche Gefühl gehabt, dass sich in der Nacht etwas in ihr
verändert hatte. Und der Entschluss stand ihr schlicht wie eine mathematische
Gleichung vor Augen. Sie würde ein Kind bekommen. Das Kind war von Theo Jaxon.
Und weil dieses Kind von Theo Jaxon war, konnte Theo Jaxon nicht tot sein.
Mausami würde ihn finden und ihm von dem Kind erzählen.
    Der richtige Augenblick zum Verlassen der Kolonie
wäre kurz vor der Morgenglocke, beim Wachwechsel. So würde es kaum auffallen,
und sie hätte das Licht eines vollen Tages, um zu Fuß ins Tal zu kommen. Dort
würde sie dann sehen, wie es weiterging. Am besten käme sie an der Stelle die
Mauer hinunter, wo der Tunnel war. Denn die Stelle war von der Wache nicht
komplett einsehbar. Wenn Sandy und die andern schlafen gegangen wären, würde
sie unauffällig ins Lagerhaus eindringen und sich ausrüsten: Sie brauchte ein
starkes Seil, um sich an der Mauer herunterzulassen, Proviant und Wasser, eine
Armbrust und ein Messer, ein Paar gute, schwere Stiefel, Kleider zum Wechseln
und einen Rucksack, um das alles zu tragen.
    Weil die Ausgangssperre verhängt worden war,
würde niemand unterwegs sein. Sie würde von Schatten zu Schatten bis an die
Mauer huschen und dort warten, bis der Morgen dämmerte.
    Als der Plan in ihrem Kopf erblühte und
detaillierte Formen annahm, erkannte Mausami allmählich, was sie da tat: Sie
inszenierte ihren Tod. Tatsächlich tat sie es schon seit Tagen. Nachdem die
Nachschubeinheit ohne Theo zurückgekommen war, war sie völlig aufgelöst
gewesen: Sie war sogar so deprimiert, dass die anderen

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