Cronin, Justin
die Tür der Lok auf, lehnte
sich hinaus und spähte nach hinten.
Die Virais waren über den letzten Wagen
hergefallen. Sie hingen an den Seitenwänden wie ein Insektenschwarm. So groß
war ihre Raserei, dass es aussah, als kämpften sie gegeneinander. Einer
schnappte fauchend nach dem andern, und jeder wollte als Erster hinein. Durch
den rauschenden Fahrtwind hörte Peter die Schreie der verzweifelten Seelen in
den Waggons. Wo war der Humvee?
Jetzt sah er ihn. Er kam in hohem Tempo schräg
auf sie zugeschossen und holperte über den harten Boden. Hollis und Olson
klammerten sich immer noch auf dem Wagendach fest. Das Maschinengewehr war
verstummt, die ganze Munition verschossen. Die Virais würden jeden Augenblick
über die beiden herfallen.
Peter hängte sich aus der Tür: »Komm näher!«
Sara gab noch mehr Gas und kam langsam
längsseits. Hollis packte die Leiter als Erster, dann kam Olson. Peter zog sie
herein und rief dann hinaus: »Alicia, jetzt du!«
»Und was ist mit Sara?«
Der Abstand vergrößerte sich wieder. Von hinten
kam ein lautes Krachen, als die Tür des letzten Waggons herausgerissen wurde.
Sie überschlug sich in der Luft und verschwand in der Dunkelheit.
»Die hole ich! Spring auf die Leiter!«
Alicia setzte zum Sprung an. Aber plötzlich war
die Lücke zu groß geworden. Vor seinem geistigen Auge sah Peter schon, wie sie
fiel, wie ihre Hände ins Leere griffen und sie in den zermalmenden Zwischenraum
zwischen Lok und Humvee stürzte. Aber dann hatte sie es doch geschafft. Ihre
Hände hatten die Leiter gepackt, und sie zog sich an der Lok hinauf.
Sara umklammerte das Lenkrad mit einer Hand, und
mit der andern versuchte sie panisch, ein Gewehr über das Gaspedal zu schieben,
um es festzuklemmen.
»Es hält nicht!«
»Vergiss es, ich fange dich!«, schrie Alicia.
»Mach die Tür auf, und nimm meine Hand!«
»Das geht nicht!«
Plötzlich ließ Sara den Motor aufheulen. Der
Humvee schoss voran und ließ den Zug hinter sich. Sie fuhr jetzt dicht am Gleis
entlang. Die Fahrertür flog auf, und Sara trat auf die Bremse.
Die Ecke des Kuhfängers an der Lok erfasste die
Tür und schnitt sie ab wie ein Messer. Sie wirbelte davon. Einen
atemberaubenden Augenblick lang schien der Humvee zu kippen und nur noch auf
den beiden rechten Rädern über die Gleisböschung zu schlittern, doch dann fiel
die linke Seite des Wagens krachend zurück, und Sara schwenkte zur Seite. In
einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel raste sie über den Wüstenboden davon. Peter
sah, wie sie schleudernd zurückkurvte, und dann war sie wieder längsseits.
Alicia streckte den Arm aus.
»Lish«, schrie er, »was immer du tun willst, tu
es jetzt!«
Wie Alicia es schaffte, würde Peter nie ganz
verstehen. Als er sie später fragte, zuckte sie nur die Achseln. Sie habe nicht
darüber nachgedacht, meinte sie, sie sei lediglich ihrem Instinkt gefolgt.
Tatsächlich sollte sehr bald eine Zeit kommen, in der Peter solche Dinge von
ihr noch öfters zu sehen bekommen sollte - außergewöhnliche und erstaunliche
Dinge. Aber in jener Nacht, in dem heulenden Abgrund zwischen Humvee und
Lokomotive, erschien das, was Alicia tat, einfach wie ein Wunder, das
unbegreiflich war. Auch hatte niemand von ihnen ahnen können, was Amy im
hinteren Teil der Lok tun würde und was sich zwischen der Lok und dem ersten
Wagen befand. Das wusste nicht einmal Michael. Vielleicht wusste Olson davon; vielleicht
hatte er Peter deshalb gesagt, er solle seine Tochter in die Lok bringen. In
Sicherheit.
Als der erste Viral auf den Humvee zusprang,
packte Alicia Saras Hand am Steuer und zog. Sara flog an ihrem Arm in weitem
Bogen aus dem Wagen, und der Humvee schoss seitwärts davon. Einen furchtbaren
Moment lang schaute sie Peter in die Augen, während ihre Füße über den Boden
streiften - und er sah den Blick einer Frau, die sterben würde und die es
wusste. Aber Alicia riss sie mit aller Kraft hoch. Saras freie Hand fand die
Leiter, und dann kletterten sie beide herauf, Sara und Alicia, und glitten in
die Zugführerkabine.
Und kaum lagen sie drinnen, zerbarst der Himmel
mit ohrenbetäubendem Donner. Die Lok, von ihrer Last befreit, machte einen
wilden Satz nach vorn. Alles schwebte plötzlich durch die Luft. Peter, der an
der offenen Tür gestanden hatte, wurde hochgerissen und zurückgeschleudert,
und er prallte gegen die Trennwand. Amy, dachte
er. Wo war Amy? Und als er über den Boden rollte, hörte er ein neues Geräusch,
lauter noch als das erste, und
Weitere Kostenlose Bücher