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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Rasieren befiel, und wie erotisch das sei, vor allem wenn sie Schläge oder Klapse auf frisch rasierte Hautpartien bekämen. Sie erarbeitete einen detaillierten Vergleich zwischen der bildlichen Darstellung in Rasierfetischistenpornos und der in Werbefilmen für Rasierprodukte, die während der Footballübertragungen landesweit im Fernsehen gezeigt wurden, und wies nach, dass es im Grunde keinen Unterschied gab (tatsächlich konnte man dort, wo man richtige Pornofilme bekam, auch Videobänder von mitgeschnittenen Werbespots für Rasiercreme und Rasierapparate kaufen).
    Sie lud sich Statistiken über rassebedingte Unterschiede im Bartwuchs herunter. Amerikanische Indianer ließen sich keine Bärte wachsen, Asiaten kaum, Afrikaner waren ein besonderer Fall, da das tägliche Rasieren ihre Haut reizte. »Die Fähigkeit, sich aus freien Stücken einen üppigen, dichten Bart wachsen zu lassen, scheint ein Privileg zu sein, das die Natur ausschließlich weißen Männern zugesteht«, schrieb sie.
    Als er auf diesen Satz stieß, gingen in Randys Kopf Alarmglocken, rote Lichter und kreischende Hupen an.
    »Diese Behauptung fußt jedoch auf einer trügerischen Subsumtion. ›Natur‹ ist ein gesellschaftlich konstruierter Diskurs, keine objektive Realität. Das gilt in doppelter Hinsicht für die ›Natur‹, die der spezifischen Bevölkerungsminderheit der nordeuropäischen Männer Vollbärte zugesteht. Der homo sapiens entwickelte sich in Klimazonen, in denen Gesichtsbehaarung kaum von praktischem Nutzen war. Die Ausbildung einer durch vollbärtige Männer gekennzeichneten Nebenlinie dieser Spezies ist eine Anpassungsreaktion auf kältere Klimabedingungen. Diese Klimabedingungen drangen jedoch nicht ›natürlicherweise‹ in den Lebensraum der frühen Menschen ein, sondern die Menschen drangen in geographische Regionen vor, in denen solche Klimabedingungen herrschten. Diese Grenzüberschreitung war ein rein soziokultureller Vorgang und deshalb müssen sämtliche physikalische Anpassungen in dieselbe Kategorie eingeordnet werden – einschließlich der Ausbildung dichter Gesichtsbehaarung.«
    Charlene veröffentlichte die Ergebnisse einer von ihr organisierten Umfrage unter einigen hundert Frauen. Im Wesentlichen sagten alle, sie zögen glatt rasierte Männer stoppelbärtigen oder vollbärtigen vor. Im Handumdrehen bewies Charlene, dass das Tragen eines Bartes nur ein Element eines Syndroms war, das eng mit rassistischen und sexistischen Einstellungen verbunden war, aber auch mit dem Muster emotionaler Unzugänglichkeit, über das sich die Partnerinnen weißer Männer, insbesondere solcher mit technologischer Orientierung, so oft beklagten.
    »Die Grenze zwischen dem Selbst und der Umwelt ist ein gesellschaftliches Konstrukt. In westlichen Kulturen gilt sie als scharf umrissen. Der Bart ist ein äußeres Symbol dieser Grenze, ein Distanzierungsmechanismus. Den Bart (oder sonstige Körperbehaarung) abzurasieren heißt, die (in hohem Maße trügerische) Grenze zwischen dem Selbst und dem anderen symbolisch aufzuheben …«
    Und so weiter. Das Papier wurde von der Fachwelt begeistert aufgenommen und sofort zur Veröffentlichung in einer bedeutenden internationalen Zeitschrift akzeptiert. Bei der »Krieg als Text«-Tagung stellt Charlene nun eine weitere Arbeit zum Thema vor: »Unrasiertheit als Bedeutungsträger in Spielfilmen über den Zweiten Weltkrieg.« Auf Grund ihrer Bartabhandlung reißen sich nun drei der Eliteuniversitäten im Osten um sie.
    Randy hat keine Lust, an die Ostküste zu ziehen. Zu allem Überfluss hat er einen Vollbart, was ihm jedes Mal, wenn er sich mit ihr zu zeigen wagt, ein Gefühl schrecklicher Unkorrektheit gibt. Er machte Charlene den Vorschlag, eine Presseerklärung zu veröffentlichen, aus der hervorging, dass er sich täglich seinen restlichen Körper rasierte. Das fand sie nicht sonderlich lustig. Als er schon auf halbem Weg über dem Pazifik war, wurde ihm bewusst, dass ihre ganze Arbeit im Grunde eine ausgefeilte Prophezeiung des Endes ihrer Beziehung war.
    Jetzt spielt er mit dem Gedanken, sich den Bart abzunehmen. Bei der Gelegenheit könnte er sich auch gleich der Behaarung von Kopf und Oberkörper annehmen.
    Er hat die Angewohnheit, lange Fußmärsche zu machen. Aus Sicht der Körperfaschisten, von denen es in Kalifornien und Seattle nur so wimmelt, ist das kaum besser, als wenn jemand (sagen wir) vor dem Fernseher hockt, dabei eine Filterlose nach der anderen qualmt und kübelweise

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