Cuentos populares españoles Spanische Volksmärchen
auf das Papier übertragen ist.
Gerade die so oft als Volksmärchen bezeichneten «Kinder- und Hausmärchen» der Brüder Grimm sind das eben nicht immer. Wie Heinz Rölleke im Nachwort seiner Edition der 2. Ausgabe von 1819 (nicht identisch mit der Ausgabe letzter Hand von 1857, der heute allgemein verbreiteten) nachweisen kann, sind diese das Ergebnis eines kontinuierlichen, in manchen Fällen über vierzigjährigen sprachlichen Feilens und Überarbeitens, gewiss mit Einfühlungsvermögen und großem stilistischen Geschick ausgeführt. Doch da wurde manches dem Zeitgeist des Biedermeier angepasst, verniedlicht, Derbes und Erotisches wurde vertuscht, und es wird sehr viel moralisiert. So entstand der berühmte Grimmsche Märchenton. Damit soll die Leistung der Brüder Grimm nicht geschmälert und ihre kultivierende Wirkung nicht heruntergemacht –, es soll nur der Unterschied zu dieser spanischen Überlieferung angedeutet werden.
Der Übersetzer war in einer anderen Situation als der wissenschaftliche Sammler. Hätte er jedes umgangssprachliche oder mundartliche Detail, jedes satzeinleitende «Und», jedes unbesorgt wiederholte Substantiv oder Verbum genau nachgeahmt, so wäre etwas nur mechanisch – also nur scheinbar – Authentisches entstanden, und ein glaubwürdiger deutscher Märchenerzähl-Sprechton wäre nicht einmal anzudeuten gewesen. Darum ist der Übersetzer in dieser Hinsicht (wie auch mit der Wortstellung) frei verfahren.
In einigen Fällen hat er auch Änderungen im spanischen Text vorgenommen: Einige rein lokale Wortformen wurden normalisiert; einigemale wurde, um ein Missverständnis zu vermeiden, ein erklärender Satz in Klammer oder statt eines bloßen Pronomens ein Namen eingefügt; einmal wurden erzählerische Weitschweifigkeiten gestrichen. Diese Eingriffe sind in dem Abschnitt «Zum Text» nachgewiesen.
Von angeblich so typisch deutschen Märchen wie dem Froschkönig, dem Tapferen Schneiderlein, dem Schneewittchen und dem Aschenputtel gibt es mehrere spanische und auch katalanische Versionen.
Wenn wir darauf verzichtet haben, eine der zahlreichen spanischen Varianten aufzunehmen, so gewiss nicht aus qualitativen Gründen, sondern um relativ unbekannten und originellen Motiven den Vorzug zu geben.
Neben Zaubermärchen haben wir besonders Märchen mit schwankhaften Motiven ausgewählt. Wenn auch dieser Typus durchaus nicht auf Spanien beschränkt ist, so ist er doch der Gattung des pikaresken Romans (des sog. Schelmenromans) nah verwandt, der in Spanien hauptsächlich im 16. und 17. Jh. weltliterarische Bedeutung erlangt und die gesamte europäische Literatur beeinflusst hat.
Der Titel unserer Sammlung bedarf noch einer kurzen Erklärung: Das Wort «spanisch» versteht sich hier als «spanischsprachig» (d. h. kastilisch) in seiner linguistischen Bedeutung. Andere Sprachen (nicht Dialekte!), die innerhalb der politischen Einheit Spanien gesprochen werden, wie das Galizische und das Katalanische oder das nicht romanische Baskisch, sind hier bewusst nicht berücksichtigt worden. Die Texte entstammen jedoch verschiedenen Dialektvarianten des Kastilischen, wobei einige je nach Herkunft mehr oder weniger starke Dialektismen aufweisen. Fünf Texte unserer Sammlung stammen aus Andalusien. Wir haben sie – wie oben erwähnt – sprachlich weitgehend normalisiert, denn im Original wären sie nur schwer verständlich gewesen. Nun kann man sich mit Hilfe der Übersetzung und der sprachlichen Anmerkungen leicht in sie einlesen.
Ein Märchen jedoch, ladrón y pícaro , ist ein unbearbeiteter Originaltext – andalusische Originaltexte sind schwer zugänglich, wir wollten zumindest eine Kostprobe vorlegen.
Im folgenden wird auf einige typische sprachliche Eigenheiten aufmerksam gemacht, die wir im Text beibehalten haben (sog. Vulgarismen).
Intervokalisches, d. h. zwischen zwei Vokalen stehendes d wird häufig nicht artikuliert, besonders in der Partizip-Perfekt-Endung -ado: encontrao statt encontrado; dao statt dado; matao statt matado; toa statt toda.
Oft verschwindet ein d im Auslaut oder es wird verändert: cantidá statt cantidad; ustez statt usted; necesidaz statt necesidad.
Vor Diphtongen, die mit u beginnen, findet sich häufig g oder b: güeno statt bueno; bueso statt hueso; güevo statt huevo; agüela statt abuela.
Oft werden Phoneme gegeneinander verschoben (Metathese): cuerpoespin statt puercoespin; naide statt nadie.
Häufig sind morphologische Verzerrungen: pa statt para; alante
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