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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Kyle Williams
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alten Aktenkoffer auf meinen Schreibtisch, mühte sich kurz mit einem der Schnappschlösser ab und klappte ihn auf. Ich musste grinsen. Die unteren Ecken waren völlig abgewetzt und das Leder so ausgeblichen, dass man nicht mehr erkennen konnte, welche Farbe der Koffer ursprünglich gehabt hatte. Der Anblick amüsierte mich, er war typisch für Rauser. Die Polizei hatte ihm einen neuen Wagen angeboten, aber ihm gefiel sein alter Crown Vic. Rauser, hatte ich gesagt, der Wagen ist ein Oldtimer. Was denkst du dir dabei? Er hatte mit den Achseln gezuckt und etwas gebrummt wie dass er keine Lust hätte, das Handschuhfach und die Türfächer und überhaupt alle irgendwo hingestopften Notizen und Landkarten und Zeitungen und Zigaretten und Abfälle aufzuräumen.
    Er zog einen Stapel Fotos aus dem Koffer und ließ ihnvor mir auf den Schreibtisch fallen. Ohne Vorwarnung wurden mir Tatortfotografien vorgeknallt. Der Tod auf meinem Schreibtisch. Mein Lächeln und meine gute Laune verblassten schnell.
    «Eine Hausfrau», sagte Rauser, als ich ein Foto in die Hand nahm und die Luft durch die Zähne einsog. «Eine ganz normale Frau. Weißt du, was ich meine?» Er setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl. Mir wurde plötzlich flau im Magen.
    Ich drehte das erste Foto um und las die Daten. Lei Koto, Asiatin, dreiunddreißig Jahre alt. Auf dem Bauch in einer Blutlache in einer Küche liegend. In der oberen rechten Ecke konnte man den Rand eines Herds erkennen. Ihre Beine waren gespreizt, Hintern und Oberschenkel nackt und blutig, es gab eine Menge Stich- und Bisswunden. So wie sie dalag, sah sie furchtbar klein und allein aus, dachte ich. Und mir kam einmal mehr in den Sinn, was für eine einsame Sache der Tod ist und wie krass, unwirklich, entstellend und gleichzeitig verräterisch Fotografien vom Ort einer Gewalttat sind. Schon auf den ersten Blick, noch bevor man Einzelheiten erfährt, erkennt man an den Farben, den durch die grellen Scheinwerfer der Spurensicherung hervorgehobenen Furchen und Schwellungen, am Blut und dem verfilzten Haar und der unnatürlichen Körperhaltung, dass es sich um eine Mordszene handelt. Solche Bilder vergisst man nie.
    «Wer hat sie gefunden?», fragte ich.
    «Ihr zehnjähriger Sohn», antwortete Rauser. Ich schaute von den Fotos auf. «Tim», fügte er hinzu.
    Das wird ihn prägen, dachte ich, seine Sichtweise auf die Welt ändern. Seinen Blick auf einen Fremden, einen Blutfleck, ein leeres Haus. Es wird diesen kleinen Jungen genauso verändern, wie es mich verändert hat. In gewisser Weise sind wir alle verunstaltet durch den scheußlichen Schmerz, den einMord auslöst. Ich wollte nicht über dieses Kind nachdenken oder darüber, was es empfand oder empfinden würde. Wenn man sich damit auseinandersetzt, lässt man die Finsternis in sein Leben sickern. Und obwohl mir das bewusst war, litt ich mit dem Jungen, ein Teil von mir wollte ihm helfen, ihn vor den Albträumen bewahren, vor dem Herumgeschobenwerden, das kommen würde. Denn im Grunde weiß niemand, was man mit einem Kind anfangen soll, das durch ein Gewaltverbrechen heimatlos geworden ist. Nehmen Verwandte ihn auf? Die Polizei wird die Frage laut stellen, gedankenlos und in bester Absicht. Die Erwachsenen werden hinter seinem Rücken tuscheln und sich Sorgen machen und ihm bekümmerte Blicke zuwerfen und damit seine Furcht nur vergrößern. Ein Fremder vom Jugendamt wird bei ihm sitzen, während nach den nächsten Angehörigen gesucht wird. Doch keine Beruhigung, keine Freundlichkeit kann den Riss in seinem Leben heilen. Das wird Jahre brauchen.
    Die Fotos zitterten in meinen Händen.
    «Warum zeigst du mir die?»
    Er reichte mir einen Brief, der an Lieutenant Rauser/​Morddezernat adressiert und ordentlich getippt war, aber keine Unterschrift aufwies. Ich blickte einen Moment lang darauf, ehe ich zu lesen begann. Rauser beobachtete mich dabei.
     
    Liebster Lieutenant,
    wollen Sie wissen, wie ich es getan habe? Nein, das werden Ihre forensischen Experten mittlerweile herausgefunden haben. Finden Sie die Einzelheiten beunruhigend? Ich habe so lebendige Erinnerungen daran, wie ich vor ihrem Haus stand und den Dunst aus der Küche roch. Als sie die Tür öffnete, lächelte sie. Ich weiß, was Sie jetzt denken, aber Sie werden keine Spur von mir in ihrem Leben finden. Ich gehörte nicht zum engeren Kreis.
Sie starb, ohne zu wissen, wer ich war. Sie starb mit der Frage, warum. Alle wollen sie ein bisschen Frieden inmitten des Chaos. Aber es ist

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