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Cut

Cut

Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Kyle Williams
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den Herd und den Kühlschrank getropft. Der erste Angriff war von hinten erfolgt und hatte die ruhig dastehende Lei Koto völlig unvorbereitet getroffen, dann hatte sie sich bewegt, und die Attacke war immer weiter gegangen. Irgendwann musste sie sich losgerissen und versucht haben davonzukommen. Vielleicht hatte der Mörder ihr diesen kurzen Hoffnungsschimmer aus reiner Lust daran erlaubt, ihr hinterherjagen zu können. Jedenfalls war der Angreifer offenbar ein geduldiger und disziplinierter Sadist. Laut Bericht des Gerichtsmediziners hatte die Quälerei mehr als zwei Stunden gedauert und im gesamten Haus stattgefunden. Der Mörder hatte sie zurück in die Küche gezerrt und dabei blutige Schleifspuren im Flur und auf dem Wohnzimmerboden zurückgelassen.
    Warum? Warum sollte es in der Küche enden, wo es begonnenhatte? Ich musste wieder an den Brief denken, an den erwähnten Kohl auf dem Herd. Ich schaute mir die Inventarliste an. Im Kühlschrank stand eine offene Schüssel mit Rindergehacktem. Lei Koto hatte also früh, bevor es zu heiß wurde, mit der Zubereitung des Essens begonnen, dachte ich. Deshalb stand um zehn Uhr am Morgen ein Topf mit Kohl auf dem Herd, und deshalb befand sich eine offene Schüssel mit Hackfleisch für Hamburger im Kühlschrank. Fürs Abendessen. Ein leichtes Schwindelgefühl überkam mich. Der Mörder hatte nicht nur gewollt, dass der Junge seine Mutter fand, er hatte sie auch genau dort zurückgelassen, wo sie das Essen für ihn zubereitete.
    Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie der Junge nach Hause kam. Der Geruch von verbranntem Essen musste ihn direkt in die Küche geführt haben.
Mama? Mama? Bist du zu Hause?
Der Mörder hatte natürlich alles bedacht. Die Planung, die Vorstellung, die Tat, die Zeit mit dem Opfer, das alles war nur ein Teil des Ganzen. Die Aufmerksamkeit, die später kam, war der eigentliche Kitzel und die Bestätigung. Was sagen sie über mich? Was denken sie? Dass er das Leben dieses Kindes geprägt hatte, die Tatsache, dass er einen Menschen unwiderruflich gezeichnet hatte, das war es, woran er sich erfreute und was ihn antrieb.
    Ich schaute mir erneut die Autopsieergebnisse an. Ein scharfes Sägemesser hatte die meisten Verletzungen verursacht und jedes der vier Opfer geschwächt, war aber in keinem der Fälle die eigentliche Mordwaffe. Das Messer war lediglich ein Werkzeug, schloss ich, und gehörte zur Inszenierung.
    Rauser kramte in seinem alten Aktenkoffer nach seinen Notizen. «Die Afroamerikanerin, Elicia Richardson, war eine erfolgreiche Anwältin aus einem dieser großen Wohnviertel im Norden von Alpharetta. Sie wurde zu Hause ermordet, genauso wie Lei Koto, die verwitwet war und mit ihrem Sohn zusammenlebte. Der vierundsechzig Jahre alte Bob Shelby aus Florida bezog eine Invaliditätsrente und wurde auch zu Hause ermordet. Und die Studentin von der Florida State University, das erste Opfer, soweit wir bisher wissen, wurde in ihrem Zimmer im Wohnheim getötet. Alle Taten wurden am helllichten Tage begangen.» Er beugte sich, die Arme auf meinen Schreibtisch gestützt, vor. «Wir wissen also, wie er seine Opfer tötet und wie er sie zurücklässt. Aber wir haben noch nicht herausgefunden, was sie im Leben verbunden hat. Vielleicht handelt er wahllos. Vielleicht sieht er sie irgendwo und dreht dann durch.»
    «Ich glaube nicht, dass er wahllos handelt», sagte ich.
    «Die Nachforschungen über die Opfer haben aber ergeben, dass der Lebensstil, die ethnische Zugehörigkeit, die Wohnviertel, ihre Einkommensverhältnisse, das Alter, die Freunde, bevorzugte Restaurants, Imbisse, Reinigungen, Arbeitswege und ihre Kindheitserlebnisse zu verschieden sind, als dass eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen wäre. Ich dachte immer, Serientäter legen sich auf einen Typ, eine Rasse, ein Geschlecht, eine Altersgruppe oder so fest. Aber bei diesen Fällen passt nichts zusammen. Ich kann die Verbindung nicht finden, verstehst du? Das eine Element, das den Mörder zu seinen Opfern führt. An keinen der Tatorte hat er sich gewaltsam Zutritt verschafft. Jedes Opfer hat diesem Scheißkerl also die Tür geöffnet. Lei Koto hat ihm sogar Eistee serviert.» Er zeigte auf eins der Fotos. Auf dem Küchentisch standen zwei fast volle Gläser. «Es gibt aber keine Fingerabdrücke, keine Speichelspuren. Er hat das Glas nicht angerührt. Er hat nie etwas angefasst. Die Tatorte sind beinahe unheimlich sauber. Die Abschürfungen an den Handgelenken und in manchen Fällen

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