Cut
zugefügt wurden. Dann die Bisswunden an der Innenseite der Oberschenkel, den Schultern, am Hals und am Gesäß. Und immer wurde die gleiche Waffe benutzt, eine gezackteKlinge, vielleicht ein Fischmesser, zwölf bis fünfzehn Zentimeter lang. Die Bissmarken weisen auf ein und denselben Täter hin.»
«Keine DNA?»
Rauser schüttelte den Kopf. «Er benutzt Gummi- oder Latexspangen, vielleicht einen Gebissschutz. Wir überprüfen Sanitätshäuser, Zahnärzte, Sanitäter, Krankenhäuser.» Er kaute an seiner Lippe. «Vier Opfer, von denen wir
wissen
. Aber wie viele Mordfälle sind nicht in der Datenbank erfasst? Oder haben andere Merkmale? Wenn der Täter schon in jungen Jahren zu morden begonnen hat, stimmen dann die frühen Morde mit den aktuellen überein? Ich nehme an, dass er dazugelernt und sich entwickelt hat.»
«Wann fand der erste Mord statt?»
Rauser musste nicht in seine Notizen schauen. «Keye, dieser Kerl ist bestimmt seit mindestens fünfzehn Jahren auf der Jagd.»
Wie viele Morde waren unentdeckt? Wie viele ungelöste Fälle hatten noch nicht Eingang in die Datenbank gefunden? Ich versuchte, das zu verarbeiten. «Der letzte Mord hat sein Verlangen nicht befriedigt», stellte ich fest. «Deswegen schreibt er dir. Er ist ruhelos, unerfüllt. Er teilt dir mit, dass er jetzt erst richtig aktiv wird, Rauser.»
Rauser kratzte sich sein stoppeliges Kinn. «Weißt du, was mir wirklich zu schaffen macht? Die Art, wie er die Opfer zurücklässt. Der Scheißkerl wusste genau, dass Koto ein Kind hat. Er weiß genug von jedem Opfer, er kommt und geht genau rechtzeitig, um nicht gesehen zu werden. Der Junge sollte sie finden.»
Ich wollte nicht an den Jungen oder an sonst jemanden denken, der einen geliebten, mit solcher Verachtung gequälten und getöteten Menschen auffindet. Es dauerte einen Moment,ehe ich den größer werdenden Kloß in meinem Hals herunterschlucken konnte. «Das rituelle Zurschaustellen der Leiche, sie in eine Position zu legen, die der Mörder als erniedrigend betrachtet, damit ein Angehöriger sie so findet, die Leiche unbekleidet zurückzulassen, die noch nach dem Tode zugefügten Verstümmelungen, all das gehört zum Aspekt der Dominanz. Mit diesen Maßnahmen verschafft sich der Mörder absolute Kontrolle über das Opfer.»
Rauser nahm weitere Fotografien aus seinem Koffer, mehrere mit Gummibändern zusammengehaltene und etikettierte Stapel, die er mir über den Schreibtisch zuschob. «Warum dreht er die Opfer deiner Meinung nach um? Das hat er in allen Fällen getan.»
«Vielleicht kann er den Anblick ihrer Gesichter nicht ertragen», antwortete ich und dachte einen Augenblick darüber nach. «Vielleicht hat er das Gefühl, sie beobachten ihn.»
«Mein Gott», meinte Rauser.
«Die Leichen zu positionieren verschafft ihm weitere Macht. Es hilft ihm, sich von ihnen zu distanzieren und sie noch mehr zum bloßen Objekt zu machen.»
Ich ging die Fotos der Reihe nach durch. Anne Chambers, Weiße, 22, Tallahassee, Florida. Bob Shelby, Weißer, 64, Jacksonville, Florida. Elicia Richardson, Schwarze, 35, Alpharetta, Georgia. Und Lei Koto, Asiatin, 33. Drei Frauen und ein Mann unterschiedlichen Alters und ethnischer Zugehörigkeit, alle mit dem Gesicht auf dem Boden liegend, erstochen und gebissen.
Sie starb mit der Frage, warum. Alle wollen sie ein bisschen Frieden inmitten des Chaos. Aber es ist ihr Chaos, nicht meines. Ich antworte ihnen nicht. Ich bin nicht da, um sie zu trösten.
Ich schaute Rauser an. «Bei diesen Verbrechen ist die Tötung nicht das Entscheidende. Sie ist lediglich des Resultatseines Verhaltens am Tatort. Manipulation, Kontrolle, Dominanz, das sind die Motive.»
Rauser stöhnte. «Wunderbar, dann wird es ja ganz leicht, ihn zu finden.»
Ich sah mir erneut die Fotos vom Koto-Fall an. Die kleine Küche, die hellgelben Wände, die gelbe Tischplatte und die weißen Geräte waren mit Blut bespritzt und mit blutigen Handabdrücken verschmiert. Ich hatte schon eine Menge Tatorte gesehen. Jeder erschreckt und verstört mich. Jeder erzählt eine Geschichte.
Laut Autopsiebericht, den Rauser mitgebracht hatte, gab es zahlreiche Wunden an Hals und Schultern. Sie ließen darauf schließen, dass Lei Koto dem Mörder den Rücken zugewandt hatte. Einige Wunden waren ebenmäßig, andere ausgefranst. Ich sah mir die Analyse der Blutspuren an. Auf dem Küchenboden hatte sich eine Lache gesammelt, aus den Arterien des Opfers war Blut gespritzt, und von einer Waffe war Blut auf
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