Cut
hatten ein paar Zimmer genügt. Später hatte er im Hauptraum eine Terrassentür eingesetzt und als zusätzliches Zimmer eine geschlossene Veranda angebaut, außerdem hatte er den Hof eingezäunt, damit der Hund Auslauf hatte, den er haben wollte, wenn er sich zur Ruhe setzte. Zum Ausbau des Dachbodens war er noch nicht gekommen, aber er hatte bereits ein paar Wände eingerissen, sodass der Raum hell und offen war.
Als ich ins Badezimmer ging, sah ich seinen Rasierer auf dem Rand des Waschbeckens liegen und roch sein Aftershave. Im Krankenhaus war mir Rauser wie eine Hülle erschienen,die ich zwar berühren, aber nicht erreichen konnte. In diesem Haus hatten wir zusammen unzählige Spiele der Atlanta Braves gesehen und literweise süßen Eistee getrunken und jedes Gericht gegessen, das man sich in der Stadt kommen lassen konnte. Ich musste daran denken, wie er mich an Thanksgiving angesehen, wie er meine Hand genommen und meiner Mutter gesagt hatte, dass er mit unseren Essgewohnheiten ganz zufrieden sei.
Ich ging in die Küche und stellte den Gasherd an. Rausers Kaffee war so wie er: rau und unvollkommen. Und er verdrehte einem den Magen wie Batteriesäure. Ohne irgendein Maß kippte Rauser einfach Kaffeepulver in einen Topf mit Wasser, brachte es zum Kochen und schüttete die Brühe direkt in einen Becher. Es war der beste Kaffee, den ich jemals getrunken hatte.
Einmal war ich an einem Samstagmorgen in aller Frühe bei ihm aufgetaucht. Er war in Unterhose an die Tür gekommen und hatte mich verquollen angeblinzelt. Ich hatte geheult, weil schon wieder irgendetwas Blödes mit Dan passiert war, irgendein Seitensprung oder eine andere Enttäuschung. Mit seinen struppigen, abstehenden Haaren hatte Rauser wie Don King ausgesehen. Er gähnte und nahm mich in den Arm, zog sich dann ein T-Shirt an und stand an seinem Herd und machte seinen Kaffee. Er war immer ein unglaublich guter Freund für mich gewesen. Ohne ihn in diesem Haus zu sein, war unerträglich. Allein mit seiner Art und Weise hatte er es ausgefüllt.
Ich machte mir einen Kaffee nach Rausers Art und suchte nach den Tagebüchern und Jahrbüchern, die ich ihm bei Starbucks gegeben hatte. Ich fand sie in dem Hinterzimmer, das er als Büro benutzte. Es wurde Zeit, sich wieder damit zu beschäftigen, wo die Morde begonnen hatten. Es kam mir wieeine Ewigkeit vor, dass ich auf Jekyll Island gewesen war, Katherine Chambers besucht und ihr Haus mit den Sachen ihrer ermordeten Tochter verlassen hatte. Plötzlich hatte ich die Idee, die Unterlagen mit ins Krankenhaus zu nehmen, um sie an Rausers Seite durchzugehen und mich mit ihm auszutauschen. Ich wollte, dass er weiterhin fest im Leben verwurzelt blieb. Ich wusste nicht, wie viel er verstehen oder ob er mich überhaupt hören konnte, aber wenn es auch nur eine winzige Chance gab, ihn an den Ermittler zu erinnern, der er gewesen war, dann wollte ich sie nutzen. Er war mir schon zu sehr entglitten.
Ich sammelte die Papiere und Notizen zusammen, die Tagebücher und Jahrbücher und stapelte alles aufeinander. Zuoberst lag das Jahrbuch der Hochschule für Kriminologie und Strafrecht. Ich setzte mich auf Rausers Schreibtischstuhl. Wir hatten von Anfang an vermutet, dass der Mörder ein umfassendes Wissen über Spurensicherung und Beweisaufnahme hatte. An jedem Tatort hatte sich gezeigt, dass er geschult genug war, um keine Spuren zurückzulassen. Er versteht das Locard’sche Austauschprinzip besser als die Polizei von Atlanta, hatte ich Rauser in der Ermittlungszentrale gesagt.
Hatte er sich sein Wissen an der Universität angeeignet? Hatte Wunschknochen die Grundlagen der Forensik auf dem Campus der Florida State University gelernt? War Anne Chambers ihrem Mörder dort in der Abteilung für Kriminologie und Strafrecht über den Weg gelaufen?
Ich beugte mich über die Liste von Anne Chambers’ Seminaren und Kursen. Doch laut ihres Studienplans hatte sie keinen Grund gehabt, sich im Gebäude der Kriminologen aufzuhalten. Ich sah mir den Campusplan an. Anne hatte im Smith-Wohnheim gewohnt, in einem der älteren Gebäude. Das hatte ich auf der Karte bereits rot markiert. Ich fuhr mitdem Finger von ihrem Wohnheim die Tennessee Street hinunter bis zur Call Street und von dort zur Hochschule für Kriminologie. Auf der Karte wirkte das wie ein weiter Weg, doch ich erinnerte mich, dass der Campus ziemlich übersichtlich war und die einzelnen Gebäude nicht so weit verstreut lagen wie bei einigen anderen Unis. Trotzdem, es
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