Cut
Arme um mich schlang, schmiegte ich mich an ihn. Er roch nach frischer Luft und Aftershave, und mir fiel auf, dass ich ihn den ganzen Tag noch nicht mit einer Zigarette gesehen hatte.
Mit einem Mal gab er einen kaum wahrnehmbaren Ton von sich, ein kurzes
Oh
, so leise wie ein leichter Windhauch. Als ich zu ihm hochschaute, sah er mich mit einer seltsamen Mischung aus Erschrecken und Verwirrung an.
«Rauser? Was ist los?»
Seine Stirn legte sich in Falten, er hielt die Hand hoch. Angst durchzuckte mich. Blut.
Mein Gott! Blut! Was zum Teufel –
Der zweite Schuss kam genauso leise und unvermittelt und traf Rauser in die Schläfe. Seine Beine knickten weg, er stürzte zu Boden. Ich ließ mich auf ihn fallen.
O Gott, o Gott.
Mit der rechten Hand riss ich mir den Schal vom Hals und den Mantel auf, zog mit der linken mein Handy hervor, wähltemit dem Daumen den Notruf und presste dann meinen Schal auf die Wunde in Rausers Brust.
«Rauser, sag was.
Rauser, kannst du mich hören?
Bleib bei mir.
Verdammt, bleib bei mir.
»
Aus der Wunde strömte unglaublich viel Blut. Es war so viel, dass es sich auf dem trockenen Boden sammelte, ehe es versickerte.
Lieber Gott, lass ihn nicht sterben. Ich werde nie wieder trinken. Mich nie wieder beklagen. Nie wieder mit meiner Mutter streiten.
Ich suchte mit den Augen die Straße ab und hob gleichzeitig Rausers Kopf etwas an und schob meinen Mantel unter ihn. Mein Herz raste, während sein Puls schwach war und sein Blut durch meinen Schal hindurchsickerte.
«Notruf hier, sagen Sie mir, worum es sich handelt und wo Sie sich befinden.»
«Polizeibeamter niedergeschossen.»
Ich glaube, ich habe geschrien, aber ich kann es nicht beschwören. Zeit und Geräusche und Lichter, nichts war mehr normal. Ich konnte meinen eigenen Atem hören, als wäre ich in einer Badewanne untergetaucht. «Die Grundschule in Winnona Park. Auf dem Spielplatz hinter der Schule», sagte ich zu der Frau in der Zentrale.
Mein Gott, wir sind auf dem Spielplatz. Noch vor einem Augenblick hat er mich in seinem Arm gehalten. O nein …
«Unbekannter Schütze», sagte ich. Ich hatte das Gefühl, eine Palette mit Ziegelsteinen wäre mir auf die Brust gefallen. Ich konnte nicht mehr normal atmen. «Der Polizeibeamte ist Lieutenant Aaron Rauser, Mordkommission Atlanta.
Herrgott, er atmet kaum noch. Rauser, bleib bei mir.»
Ich erhöhte den Druck auf seine Brust. Mein Schal war durchtränkt. Und es kam immer mehr Blut. Die Telefonistin versuchte mich am Telefon zu halten. Was ich gesehen hätte.Wie ich heiße. Einzelheiten. Schickte sie Beamte in eine gefährliche Situation?
«Keine Ahnung, wo der Schütze ist. Ich glaube, auf dem Poplar Circle. Ich heiße Keye Street. Herrgott, beeilen Sie sich doch!»
Und dann sah ich es. Die Scheinwerfer gingen an, der Wagen raste im Rückwärtsgang von uns weg, an der Schule vorbei, wendete und raste auf der Avery davon.
Ich schrie die ganze Zeit heulend Rauser an.
Bleib bei mir, Rauser. Ich liebe dich doch. Bleib bei mir.
«Ein Fahrzeug verlässt den Tatort schnell auf der Avery, Richtung Kirk Road.»
«Können Sie erkennen, was für ein Fahrzeug?»
«Nein, mein Gott, es ist zu dunkel.
Wo bleibt der Rettungswagen, verdammt? Rauser, stirb mir nicht weg.»
Mein Handy piepte, das Signal, dass ich eine Textnachricht erhalten hatte. Reflexhaft nahm ich es vom Ohr, um aufs Display zu sehen. Ich dachte nicht mehr nach, ich reagierte nur noch. Es war, als stünde ich neben mir, alles kam mir total unwirklich vor.
Meine Finger waren von Rausers Blut so feucht, dass mir das Telefon beinahe aus der Hand rutschte.
«Jetzt sind nur noch wir beide übrig»,
stand auf dem erleuchteten Display.
«Mit den herzlichsten persönlichen Grüßen. W.»
36
C hief Connor war stinksauer. Er hatte einen gewaltigen öffentlichen Erfolg errungen, und den wollte er sich von niemandem nehmen lassen. Wütend starrte er den soeben zum Lieutenant ernannten Brit Williams an. «Das wird auf keinen Fall geschehen», knurrte der Polizeichef. In der Nacht, in der auf Rauser geschossen worden war, hatte er Williams die Leitung der Mordkommission übertragen.
«Chief Connor», schaltete ich mich ein. Ich stand neben Williams vor dem riesigen Mahagonischreibtisch im Büro des Polizeichefs. «Wortwahl und Tonfall der Textnachricht, die ich erhalten habe, weisen eindeutig auf Wunschknochen hin. Charlie Ramsey ist ein Krimineller, keine Frage. Er muss im Gefängnis bleiben, aber …»
«Und nach
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