Cut
Nacht zu Boden gegangen war, als sein Blut durch meine Kleider hindurch auf meine Haut gesickert war, hatte Wunschknochen mein Leben tiefer zerschnitten denn je und mir das Herz gebrochen.
Diese Nacht läuft in meiner Erinnerung noch immer wie ein alter Film ab, dunkel und wackelig. In einem Moment verschwommen, im nächsten überdeutlich. Ich war mit einem der Polizisten ins Krankenhaus gefahren. Die Sanitäter hatten mich nicht in den Rettungswagen lassen wollen. Sie hätten zu viel mit Rauser zu tun, sagten sie, es wäre zu eng. Ich dachte nur:
Und wenn er stirbt, und ich bin nicht bei ihm?
Jimmy und Miki waren ins Krankenhaus gekommen und die ganze Zeit bei mir geblieben. Auch meine Eltern, Neil und Diane waren da gewesen. Rauser war noch in der Nacht lange operiert worden. Die Ärztin sagte etwas über die Nähe der Verletzung zum vorderen Teil des Gehirns, sie sprach von der gefährlichen Wunde in der Brust, vom Blutverlust, dem Risiko einer Infektion und tausend anderen Komplikationen. Ich schwöre, als sie da stand und mit uns sprach, sah ich zwar, wie sich ihr Mund bewegte, doch die Worte erreichten mich nicht. Sie hätte auch die Gebärdensprache benutzen können. Als sie ein paar Stunden später wieder ins Wartezimmer kam, war ihre Miene noch düsterer.
Rauser hatte während der Operation einen Herzinfarkt erlitten, sagte sie. Jimmy musste mich halten, damit ich nicht zusammenklappte. Man hatte ihn wiederbelebt, doch er rang um sein Leben. Er war in eine Art Koma gefallen. Er atmete zwar selbständig, aber das war auch schon alles. Und an dieserStelle zucken die Ärzte die Achseln und machen ein mitleidiges Gesicht und sagen einem, man solle das Beste hoffen, sich aber auf das Schlimmste vorbereiten. Wie geht das, zum Teufel? Mir kam es so vor, als hätte ich wie Rauser ein Loch in der Brust. Mach einfach weiter, sagte ich mir, denk nicht darüber nach, schnapp dir den Scheißkerl, der das getan hat. Gleichzeitig war ich so traurig und erledigt, dass ich kaum einen Schritt tun konnte, doch diesem Gefühl durfte ich mich nicht ergeben, sonst würde ich ganz zerbrechen. Das wusste ich. Ich wollte etwas trinken. Für Kummer und Trauer war ich nicht der Typ.
Beweg deinen Arsch. Hol dir diesen Scheißkerl!
Eines von Rausers Kindern war in der Stadt, sein Sohn. Seine Tochter plante, in den nächsten Tagen zu kommen. Aaron, nach seinem Vater benannt, war sechsundzwanzig und gut aussehend und hatte zu Hause ein zweijähriges Kind. Er war sehr nett zu mir, benötigte jedoch Zeit mit seinem Vater, besonders jetzt. Niemand wusste, was geschehen würde. Rauser hatte irgendwann einmal eine Patientenverfügung aufgesetzt, in der er einer künstlichen Ernährung für begrenzte Zeit zustimmte, auf keinen Fall aber wollte er am Leben erhalten werden, wenn er nicht mehr selbständig atmen konnte. Immer wenn ich in sein Zimmer kam, betete ich, dass sich sein Brustkorb noch hob und senkte. Wie drastisch sich das Leben seit unserem Spaziergang am Thanksgivingabend verändert hatte, als ich mich an ihn lehnte und wir über seine albernen Witze lachten. Im Kopf spielte ich diese Szenen tausendmal ab.
Schließlich verließ ich das Krankenhaus und versuchte, ohne meinen besten Freund zurechtzukommen. Auf dem Parkplatz stand mein alter Impala, den mein Vater nicht nur hatte reparieren, sondern auch mit neuen Sicherheitsgurten, einer Alarmanlage und einem GP S-Gerät ausstatten lassen.Ich fuhr nach Hause, um zu duschen und etwas zu essen. Zum Essen musste ich mich regelrecht zwingen. Ich war so ausgelaugt, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Aber wie isst man, ja wie schluckt man, wenn man entzweigerissen wurde?
Ich schloss die Augen und atmete die kalte Luft ein. Bald ist Weihnachten.
Verdammt
. Wie sollte ich Weihnachten ohne Rauser überstehen?
Schnapp dir diesen Scheißkerl, schnapp ihn dir.
Nachdem ich White Trash gefüttert hatte, legten wir uns gemeinsam aufs Sofa. So erschöpft ich auch war, ich wollte nicht zu lange vom Krankenhaus weg sein. Ich hatte unglaubliche Angst, dass er starb und einfach zu atmen aufhörte, während ich nicht bei ihm war.
Jetzt sind nur noch wir beide übrig.
Falsch, du Arschloch. Du hast nicht gut genug gezielt. Rauser lebte noch, und ich würde nicht zulassen, dass er starb.
Ich werde dich finden
, gelobte ich. Doch dann übermannte mich die Müdigkeit, und ich schlief mit White Trash in meinen Armen ein.
A ls Rausers Haus gebaut wurde, damals, als Eisenhower Präsident war,
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