Cut
wollte mich mitnehmen, mit mir spielen, mich quälen oder weiß Gott was. Ich glaube, in diesen Sekunden ist jeder Tatort, an dem ich jemals war, und jedes verfluchte Foto, das ich jemals von einem Tatort gesehen habe, an meinem inneren Auge vorbeigerauscht.
«Bin ich im Himmel?», wisperte ich.
Rauser verdrehte die Augen. «Der geht’s gut.»
Mein Vater, ein ernsthafter Mann, der meinen Sinn für Humor nie verstanden hat, küsste mich auf die Stirn und strich mir mit seinen rauen Händen über die Wange. «Nein, Liebes, du bist im Krankenhaus.» Er sagte es langsam und laut, als hätte ich einen Gehirnschaden.
Danke, Dad.
«Deine Mutter holt Kaffee. Sie wird gleich zurückkommen. Diane ist bei ihr.»
«Mutter holt Kaffee? Ach, gut. Das ist gut für meine Kopfschmerzen.»
«Ich hätte ein paar anständige Sitzgurte in diesen Wagen einbauen müssen», fuhr mein Vater fort. «Ich habe damals überhaupt nicht daran gedacht. Diese alten Bauchgurte bringen nichts.»
Nach beinahe vierzig Ehejahren hatte mein Vater gelernt, für alles die Verantwortung zu übernehmen. Wenn etwas schiefging, hatte Dad Schuld. Ausnahmen waren selten. So war das Leben mit Mutter.
«Es ist nicht deine Schuld.» Ich griff nach seiner Hand und sah in seine wässerigen blauen Augen. «Dass ich wie ein Redneck fahre, das ist deine Schuld. Was ist mit meinem Wagen?»
«Genauso übel zugerichtet wie du», sagte er und neigte den Kopf zu Rauser. «Aaron hat ihn zum Polizeirevier abschleppen lassen, da kann er stehen bleiben, bis wir ihn in eine Werkstatt bringen. Es war jedenfalls ein Glück, dass er zufällig vorbeigekommen ist.»
Rauser zwinkerte mir zu, und da wusste ich, dass er meine Eltern über das, was dort draußen auf der Interstate geschehen war, belogen hatte. Aber was genau war eigentlich geschehen? Ein Unfall? Oder hatte sich jemand am Impala zu schaffen gemacht? War ich verfolgt worden? Hatte man einen Stalker gefasst? War es der Wunschknochen-Mörder? Solange meine Eltern da waren, würde ich keine Antworten bekommen. Ich musste warten, bis ich mit Rauser allein war, also blieb mir nichts anderes übrig, als mich von allen umsorgen zu lassen.
Aus Rausers Tasche ertönte ein gedämpftes Klingeln. Er zog sein Telefon hervor, ging ran und lauschte einen Moment. «In einer halben Stunde, okay?», sagte er dann und steckte das Telefon weg.
Er beugte sich zu mir und küsste mich flüchtig auf die Wange. «Ich muss zum Polizeichef», sagte er und verdrehte die Augen. Rauser wurde nicht gerne in Chief Connors Büro gebeten. Seiner Erfahrung nach bedeutete das nie etwas Gutes. Er respektierte Connor, aber ihre Wege hatten sich vor Jahren getrennt. Jefferson Connor verstand die Mechanismen des Erfolgs und wusste instinktiv, wann und wo er sich einschalten musste. Rauser war das komplette Gegenteil und hatte sich schon häufig an Machtstrukturen und Politik gestoßen. Connor genoss die Privilegien seiner Position nicht nur, der Mann schätzte sogar die Verpflichtungen der Bürokratie. Rauser hingegen hatte sich allem widersetzt, was ihn von der Bearbeitung eines Falls abgehalten hätte. Schließlich hatte er die Beförderung akzeptiert und die Verantwortung für die Mordkommission übernommen, allerdings nur unter der Bedingung, dass er dadurch nicht an den Schreibtisch gefesselt war. Connor stimmte damals widerwillig zu. Jeff Connor hat seinen Aufstieg noch nicht beendet, sagte Rauser immer. Er wollte eines Tages Justizminister werden, und Rauser war sicher, dass er es schaffen würde.
«Ich komme später wieder vorbei», sagte Rauser zu mir. «Howard, passen Sie auf, dass sie im Bett bleibt, okay?»
«Darauf können Sie Gift nehmen», antwortete mein Dad. In dem Moment ging die Tür auf, und meine Mutter kam mit zwei Kaffeebechern herein. Diane brachte ein paar eingeschweißte Automatendonuts mit. Beim Rausgehen mopste Rauser ihr einen.
«Oje, armes Kindchen. Du siehst ja schrecklich aus!», stieß Mutter hervor. Sie hatte ein strahlendes, rundes Engelsgesicht und sah aus wie Debbie Reynolds auf Cortison. Sie stellte den Kaffee ab und tätschelte meine Hand. «Ach, das tut mir ja so leid.»
Ich sah zu Diane. Sie lächelte mich an. «Musst du nicht bei der Arbeit sein?»
«Nicht, wenn meine beste Freundin einen Unfall hatte. Wie geht es dir?»
«Als hätte man mich in Scheiße getaucht und dann in Cornflakes getunkt.»
Alle lachten, außer meiner Mutter, die meinem Vater auf den Arm schlug. «Mein Gott, Howard», schimpfte
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