Cut

angerufen wird. Die Polizisten auf dem Revier warfen meistens eine Münze, um zu ermitteln, wer ihn wecken musste. Jetzt hatte ich das Vergnügen.
    «Ich hoffe, es gibt einen guten Grund», waren seine ersten Worte.
    «Ich bin’s», sagte ich, nachdem ich die Parkgebühr bezahlt hatte und in Richtung Ausfahrt fuhr. «Im Flugzeug habe ich eine E-Mail geöffnet. Einen Brief des Wunschknochen-Mörders an dich. Ein neuer. Dann habe ich mich beobachtet gefühlt, aber ich hatte vorher einen verrückten Traum und bin sowieso völlig durch den Wind. Als ich ins Parkhaus kam, schien er hinter jeder Ecke zu lauern. Ich glaube, dass Wunschknochen da war, Rauser. Er hat auf meine Maschine gewartet. Keine Ahnung, warum. Ich hab’s einfach gespürt   …»
    «Moment, Moment, Moment. Es gibt einen weiteren Brief?»
    Ich blieb vor der Ausfahrt stehen und schaute in den Rückspiegel. Hinter mir kamen mehrere Fahrzeuge aus den verschiedenen Parkzonen und näherten sich der Schranke. Ein Wagen fuhr von der Kasse weg, hielt hinter mir an und hupte, als ich mich nicht rührte. Zögerlich bog ich in den Verkehr ein und nahm die Auffahrt zur Interstate 75/​85 Richtung Norden.
    «Sprich weiter, ich ziehe mich inzwischen an», verlangte Rauser. «Und langsam, bitte. Du hast einen Brief von Wunschknochen bekommen? Hm. Vielleicht gar nicht so schlecht. Wir können die E-Mail zurückverfolgen.»
    Ich beschrieb detailliert und etwas ruhiger den Inhalt desBriefes, den Rauser noch nicht gelesen hatte und der einen weiteren Mord ankündigte.
    Ich hörte seiner Stimme an, dass er während unseres Gesprächs hastig umherlief. Ich stellte mir vor, wie er seine Wohnungstür abschließt und auf dem Gehweg zu seinem Crown Vic eilt. «Glaubst du, dass du jetzt verfolgt wirst?»
    «Keine Ahnung. Vielleicht ist es Unsinn. Ich drehe nur ein bisschen durch. Hier sind eine Menge Kameras. Er müsste wissen, dass wir uns die Aufzeichnungen angucken würden.»
    «Ich riskiere nichts. Lass dir Zeit und gib uns ein paar Minuten, wenn du kannst. Du kommst auf der I-75/​85   Richtung Norden, richtig? In deinem Impala?»
    «Ja, ich fahre gerade drauf.»
    Ich hörte, wie Rauser über Funk Unterstützung anforderte. «Na schön, Keye, fahr weiter zur Ausfahrt Capital Avenue, bieg links ab und fahr um das Stadion herum. Dort kommst du an eine Ampel. Halt die Augen offen. Und verschließe die Türen, um Himmels willen. In der Nähe sind Streifenwagen, ich schicke auch welche an die Ausfahrten. Wenn alles gutgeht, kann noch vor Langford Park jemand hinter dir sein.» Er hielt inne. «Was hältst du von der Sache?»
    «Ich glaube, er will sehen, ob ich nervös oder paranoid bin, ob man mir irgendwie ansehen kann, dass ich den Brief erhalten habe. Er versucht, uns zu kontrollieren wie Spielfiguren.» Ich schaute erneut in den Spiegel. Nichts.
    «Bleib auf keinen Fall stehen», sagte er. «Und wenn Tonya Harding mitten auf der Straße herumschlittert und mit ihrem Scheißarsch wackelt, du bleibst nicht stehen.»
    Mir war klar, warum sich Rauser Sorgen machte. Wir beide wussten zu genau, wie Mörder ihre Opfer aufgriffen. Im Geiste schätzte ich automatisch die Risiken ab. Dienstags nach Mitternacht herrschte so gut wie kein Verkehr. In Sekundenschnellekonnte ein Fenster zertrümmert und jemand außer Gefecht gesetzt werden. Und obwohl ich zur Festnahme von Flüchtigen berechtigt war und einen Waffenschein besaß, hatte ich jetzt keine Waffe bei mir. Wenn ich nicht gerade einen Gefangenen überführe, darf ich im Flugzeug keine Waffe tragen, und seit dem 11.   September ist es selbst dann mit großem bürokratischem Aufwand verbunden.
    «Meinst du, ihr fetter Typ mit dem Knüppel ist auch da?», fragte ich Rauser. «Oder zieht Tonya ganz allein ihre Kreise?»
    Wenn ich nervös bin, mache ich Witze. Das ist eine Eigenart von mir, die mein Exmann hasste. Dan war der Meinung, dass ich meinen Humor benutzte, um jedes tiefergehende Gespräch abzuwürgen und nur ja nicht zum Kern meiner Probleme vorzudringen.
Mein Gott
. Dan fehlt es an Tiefe, um den Kern von Problemen überhaupt zu erkennen. Rauser findet meine Witze manchmal auch ziemlich unpassend. Dieses Mal lachte er jedenfalls nicht.
    «Und wenn der fette Typ mit dem Arsch wackelt? Soll ich dann anhalten?»
    Jetzt musste Rauser doch lachen. «Du hast ein ernsthaftes Problem, Street, weißt du das? Ich ruf dich in ein paar Minuten zurück.»
    Im Rückspiegel sahen die Scheinwerfer aus wie Katzenaugen im Dunkeln. Jeder