Cyberabad: Roman (German Edition)
in ihrem Kopf sehen, die Dinge, die ein anderer Körper ihr antun soll. In einem Anfall von Begehren stürzt Vishram fast durch die Tür. Sein Fuß schießt das Ding, das dahinter auf ihn wartet, quer durch den Flur. Er überlegt, es einfach liegen zu lassen. Die automatische Beleuchtung erhellt das grüne und silberne Logo der Company.
»Nur eine winzig kleine Sekunde.«
Seine Proto-Erektion lässt bereits nach.
Der Plastik-Briefumschlag höchster Priorität ist an Vishram Ray adressiert, Apartment 1a, 22 Kelvingrove Terrace, Glasgow, Schottland. Ihm wird leicht übel. Ernüchtert und enterigiert öffnet Vishram den Umschlag. Drinnen befinden sich zwei Gegenstände, ein Brief von Shastri, dem runzligen Bediensteten, und ein Ticket von Glasgow über Heathrow nach Varanasi, erste Klasse, ohne Rückflug.
Die Sache mit der Frau in dem teuren Anzug hat er in der Raja Class Lounge von Bharat Air angefangen, weil er immer noch high von seinem Sieg und dem Suff war, aber hauptsächlich war es seine frustrierte Libido.
Er hatte kaum den Reißverschluss über seinen zusammengestopften Reisesachen zugezogen, als der Wagen eintraf. Er bot Anye an, sie nach Hause zu bringen. Sie antwortete ihm mit dem eiskalten Blick einer gediegenen SNP -Aktivistin.
»Tut mir leid, eine Familienangelegenheit.«
Ihr war bestimmt kalt, in dieser Hose und mit so viel bloßer Haut, als sie durch die Glasgower Vordämmerung des frühen Augusttages davonhastete. Nach dem Einchecken blieben Vishram noch zehn Minuten. Er war der einzige Passagier in der ersten Sitzreihe des kurzen Shuttleflugs nach London. Als er das Ende der Luftbrücke erreicht hatte, war ihm leicht schwindlig vom Tempo, mit dem alles ablief, und er machte sich direkt auf den Weg zur Lounge der ersten Klasse, fest entschlossen, sich einen Wodka zu bestellen. Duschen, Rasieren, Kleidung wechseln und einen polnischen Kurzen runterkippen – das alles hatte seine Vishram-Ray-heit wiederhergestellt. Er fühlte sich gut genug, um zu versuchen, die Frau im flugreisebequemen Anzug zu einem zwanglosen Geplauder zu verführen. Nur um die Zeit zu vertreiben.
Ihr Name ist Marianna Fusco. Sie ist Firmenanwältin. Sie wurde nach Varanasi gerufen, um sich um eine komplizierte Treuhandschaftsangelegenheit zu kümmern.
»Ich bin nur das schwarze Schaf, der Hofnarr. Der jüngste Bruder, der nach England geschickt wurde, um an irgendeiner ’bridge-Universität Jura zu studieren. Allerdings landet er schließlich in Schottland und versucht sich als Stand-up-Comedian. Was zufällig die höchste menschliche Kunstform ist. Und gar kein großer Unterschied zu dem, was ein Anwalt macht, vermute ich. Wir sind beide Rampensäue.«
Darauf steigt sie nicht ein. Stattdessen fragt sie: »Wie viele Brüder?«
»Noch ein großer und ein mittelgroßer Bär.«
»Keine Schwestern?«
»Es gibt nicht viele Schwestern in Varanasi, zumindest nicht in meinem Stadtteil.«
»Davon habe ich gehört«, sagt sie und wendet sich ihm auf der Ledercouch zu, um sich bequemer unterhalten zu können. »Wie lebt es sich in einer Gesellschaft, in der es viermal so viele Männer wie Frauen gibt?«
»Wir leben damit, dass wir nur selten mit Anwältinnen zu tun haben«, sagt Vishram und lehnt sich auf dem knirschenden Polster zurück. »Es gibt überhaupt nur wenige Damen, die einem Beruf nachgehen.«
»Ich werde mir merken, dass ich meinen Vorteil ausnutzen sollte«, sagt die Anwältin. »Darf ich Ihnen noch einen Wodka ausgeben? Wir haben einen langen Flug vor uns.«
Kurz nach dem dritten werden sie zum Boarding aufgerufen. Vishrams Sitz lässt sich komplett zurückklappen. Nach all den Jahren in Billigfliegern ist die Beinfreiheit unglaublich. Er hat so viel Spaß mit den Knöpfen und Spielzeugen, dass er gar nicht den Passagier bemerkt, der sich neben ihm anschnallt.
»Oh, hallo! Na, wenn das kein Zufall ist?«, sagt er.
»Ist es nicht«, sagt Marianna Fusco und zieht ihre Jacke aus. Unter dem Top aus Stretchbrokat kommen sportliche Arme zum Vorschein.
Der erste Armagnac wird über Belgien serviert, als das Überschallflugzeug steil zur Reiseflughöhe von dreiunddreißig Kilometern aufgestiegen ist. Normalerweise zieht Vishram dieses Getränk nie in Erwägung. Er ist ein Wodka-Boy. Aber nun findet er, dass der Weinbrand recht gut zur Persönlichkeit passt, die er hier spielt. Marianna Fusco und er unterhalten sich im Indigohimmel über ihre Kindheit – über ihre in einer großen Familiensippe, die sich durch
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