Cyberabad: Roman (German Edition)
umzublicken.
Sieht eher nicht nach einem Folge-Fick aus.
Die ramponierte Limousine fährt durch das Tor zwischen dem Auto-Ersatzteilladen und der IT-Schule, im Schutz der Ashok-Bäume. Sofort ist er in einer anderen Welt. Das Erste, was man sich in Indien mit Geld kaufen kann, ist Privatsphäre. Der Straßenlärm wird zu einem leisen Hintergrundrauschen. Der Wahnsinn der Stadt ist ausgeblendet.
Das Hauspersonal hat entlang der Auffahrt Naphtha-Fackeln entzündet, um den heimgekehrten verlorenen Sohn willkommen zu heißen. Trommler begrüßen Vishram Ray mit einem Zapfenstreich und eskortieren den Wagen. Dann kommt das Haus in Sicht, groß und stolz und im Flutlicht unglaublich weiß. Vishram spürt ungebetene Tränen in den Augen. Als er noch unter diesem Dach lebte, schämte er sich, wenn er zugeben musste, dass er in einem Palast residierte. Die Säulen und Ziergiebel ließen ihn erschaudern, genauso wie der breite Portikus, mit Geißblatt und Hibiscus bewachsen, das verdammte Weiß, die Innenräume aus gefegtem Marmor und kuriosen alten pornographischen Holzschnitzereien und Decken, die im nepalesischen Stil bemalt sind. Eine Händlerfamilie hatte es während der britischen Herrschaft so erbaut, dass es sie an ihre Heimat erinnerte. Das Shanker Mahal hatten sie es genannt. Nun sind Vishrams jugendliche Verachtung und die Scham, privilegiert zu sein, verschwunden, als er aussteigt und das Haus ihn mit den wohlvertrauten Gerüchen nach Staub und Niembäumen überfällt, dem Moschus der Rhododendren und dem leichten Gestank des Abwassersystems, das nie richtig funktioniert hat.
Sie erwarten ihn auf der Treppe. Der alte Shastri auf der untersten Stufe namastiert bereits. Er wird auf zwei Seiten vom Hauspersonal flankiert, die Frauen zu seiner Linken, die Männer zur Rechten. Ram Das, der greise Gärtner, ist immer noch da. Er muss inzwischen unvorstellbar alt sein, aber noch genauso eifrig in seinem ewigen Krieg gegen die Affen, wie Vishram keinen Augenblick lang bezweifelt. Auf den mittleren Stufen stehen seine Brüder. Ramesh, der älteste, wirkt größer und schmaler denn je, als würde die Gravitation der interstellaren Objekte, die er studiert, ihn in Richtung Himmel ziehen, ihn zu einem dünnen Strang aus Fragen machen. Immer noch kein weiblicher Anhang. Selbst in Glasgow hat Vishram aus der indischen Diaspora-Gerüchteküche von Wochenendreisen nach Bangkok gehört. Daneben Govind, der perfekte Bruder. Perfekter Anzug, perfekte Frau, perfekte Zwillingserben Runu und Satish. Vishram bemerkt, dass er am Rumpf Fett angesetzt hat. DiDi, der Stern, die ehemalige Moderatorin im Frühstücks-Tivi und begehrte Braut, ist an seiner Seite. Und an ihrer Seite wiegt die Aya den jüngsten Sprössling der Dynastie. Ein Mädchen. Voll 2047-mäßig. Vishram gurrt und kichert die kleine Priya an, aber etwas an ihr vermittelt ihm den Eindruck, dass sie eine Brahmanin ist. Etwas Ursprüngliches, etwas Pheromonisches, eine Veränderung in der Körperchemie.
Seine Mutter hält die oberste Stufe besetzt, mit überragender Ehrerbietung, wie sie in Vishrams Erinnerung schon immer gewesen war. Ein Schatten zwischen den Säulen. Sein Vater ist nicht anwesend.
»Wo ist Dadaji?«, fragt Vishram.
»Er wird sich morgen in der Firmenzentrale mit uns treffen«, ist alles, was seine Mutter dazu sagt.
»Weißt du, worum es geht?«, wendet sich Vishram an Ramesh, nachdem sie die Begrüßungen und Tränen und Ach-was-bist-du-groß-geworden-Beteuerungen hinter sich gebracht haben. Ramesh schüttelt den Kopf, während Shastri mit einem Finger nach einem Träger winkt, der Vishrams Koffer in sein Zimmer hinaufbringen soll. Vishram will keine Fragen nach dem Wagen beantworten, also schiebt er einen Jetlag vor und beschließt, zu Bett zu gehen. Er hat erwartet, wieder sein altes Zimmer zu bekommen, aber der Träger führt ihn zu einem Gästeschlafzimmer auf der Sonnenaufgangsseite des Hauses. Vishram ist beleidigt, weil man ihn wie einen fremden Besucher behandelt. Doch nachdem er seine paar Sachen in den riesigen Schränken und Kommoden aus Mahagoni verstaut hat, ist er froh, bei der Rückkehr aus seinem erwachsenen Leben nicht von den Dingen aus seiner Kindheit beobachtet zu werden. Sie würden ihn zurückzerren, ihn wieder zum Teenager machen. In diesem alten Haus gab es noch nie eine brauchbare Klimaanlage, so dass er sich nackt auf die Laken legt, angewidert von der Hitze. Dann erkennt er Gesichter im gemalten Laub an der Decke und horcht
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