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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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er nicht; es war eine Herausforderung, der sie bestimmt nicht ausgewichen war. Nach diesem kurzen Blick trat er einen Schritt beiseite und entging damit dem zweiten Messer, das Tabbit nach ihm warf. Es rutschte hinter ihm über die Holzplanken, und sie zog die Lippen von dem dahinterliegenden Abgrund und fauchte ihn an.
    »Das Ritual ist entweiht«, zischte sie. »Aber du bist noch da.
    Du, den ich im Feuer sah, weißhaarig, mit weißerem Haar als ich.«
    »Mein Haar«, vertraute Cyrion ihr an, »hatte einst die Farbe von Butterblumen. Furchtbare Schicksalsschläge färbten es weiß, als ich ein Knabe von siebzehn Jahren war. Eine Tatsache, die nicht allgemein bekannt ist. Ich hoffe auf Eure Diskretion.«
    Tabbit warf die Arme in die Luft. Es waren grausame Arme, mit grausamen Händen; ihre ganze Haltung drückte Erbarmungslosigkeit aus.
    »Laßt die Ruder, meine Schwestern«, rief Tabbit. »Und ergreift ihn.«
    Es zappelte und raschelte, als die Armee alter Frauen von ihren Bänken aufsprang und nach ihm griff, mit Armen und Händen, die so grausam und blutdurstig waren wie die Tabbits.
    »Er«, sagte sie, »soll unsere Göttin mit seinem langsamen und blutigen Sterben erfreuen.«
    »Zu meinem größten Bedauern muß ich ablehnen«, meinte Cyrion.
    In einer Sekunde stand er zwischen der Priesterin und ihrem Gefolge, in der nächsten schon an der Reling. Im Sprung riß er eine der Fackeln aus der Halterung und ließ sie in den Ölkrug fallen.
    Mit makelloser Perfektion, die niemand zu würdigen wußte, zerteilte er das Wasser und zwei Atemzüge später explodierte der Krug.
    Valias dunkler Kopf mußte seit langem wieder aufgetaucht sein. Cyrion, der aus der düsteren Tiefe aufstieg, machte sich nicht die Mühe, danach Ausschau zu halten. Obwohl die Beleuchtung inzwischen sehr viel besser geworden war.
    Auch kümmerte er sich nicht darum, was hinter ihm vor sich ging. Dadurch entgingen ihm die Schreie, der Qualm, die Feuersbrunst, der Zusammenbruch des faulenden, zu blutigen Zwecken mißbrauchten Schiffes unter dem Schleier seines brennenden Segels. Noch genoß er den Anblick der Schwesternschaft, die wie ein Bündel heulender Stöcke ins Wasser stürzte. Höchstwahrscheinlich konnten die meisten von ihnen schwimmen. Manche auch nicht. Alle waren sie alt, alle versengt. Wenn sie auch in ihrer verrückten Frömmigkeit die Ruder eines Schiffes handhaben konnten, waren sie doch denkbar schlecht für einen unerwarteten Sprung in eiskaltes Wasser ausgerüstet. Und noch weniger imstande, ihre gebrechlichen Leiber, die sich so lange nicht mehr an dem Anblick dunkelroten Männerblutes genährt hatten, zu einem der glitschigen, felsigen, abweisenden Uferstreifen zu quälen. Einige starben sofort. Andere, mit der zusätzlichen Last ihrer kreischenden, des Schwimmens unkundigen Schwestern beladen, kämpften sich durch die Fluten und gingen unter. Trotzdem konnte man annehmen, daß einige das Ufer erreichten. Cyrion hielt sich nicht damit auf, als er selbst festen Boden unter den Füllen hatte.
    Der Glanz des sterbenden Schiffes war schon beinahe erloschen, als er durch einen der Gänge zwischen den einzelnen Höhlen lief. Als er auf dem Felsvorsprung weiter oben herauskam, schwammen nur noch einige brennende Ölflecken auf der Wasseroberfläche.
    Allerdings hatte es genug Lärm gegeben, daß ihm ein bestimmtes Geräusch entgangen war. Erst als er den Balkon über den Höhlen erreichte, entdeckte er den herabgestürzten Käfig inmitten eines Gewirrs abgeschnittener Taue. Valia hatte ihr Bestes getan, um eine Verfolgung unmöglich zu machen.
    Cyrion hielt sich bei dem Wrack nicht auf. Er sprang darüber hinweg und lief auf dem Felsband entlang.
    In der Dunkelheit des überdachten Ganges blieb Valia stehen, lehnte sich gegen den Brunnen, um Atem zu schöpfen, und lachte boshaft. Trotz der Einmischung des Fremden hatte sie ihr Ziel erreicht. Was mit dem Schiff geschehen war, wußte sie nicht genau, obwohl sie einmal zurückgeblickt und das Feuer gesehen hatte. Offensichtlich hatte es einen Kampf gegeben. Und Tabbit - was war aus Tabbit geworden? Bei dem Gedanken, daß Tabbit vielleicht verbrannt war, spürte Valia eine schreckliche Erleichterung, als wäre ihr ein Bleigewicht von der Seele gefallen. Und gleichzeitig mit der Erleichterung kam das Gefühl eines unersetzlichen Verlustes. Und gleichzeitig mit dem Verlust ein unerlaubtes Entzücken. Und gleichzeitig mit dem Entzücken.
    Valia schüttelte sich und rief sich selbst zur

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