Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
verlangt, sich mit viel Geduld und einer Wurzelbürste auch den dunkleren Flecken auf dem Seelenkostüm zu stellen.
Wer noch nie eine Psychotherapie gemacht hat, blickt vielleicht auf die herab, die es tun. Aber seien Sie ganz sicher: Umgekehrt ist es genauso. Sobald die Patienten begriffen haben, worum es in einer Psychotherapie geht, neigen sie dazu, ein klein wenig elitär zu werden und zwischen denen zu unterscheiden, die auch schon den Marsch durch die Psychosümpfe hinter sich haben und denen, die ihn scheuen. So wie – ich bitte, mir den arg kriegerischen Vergleich nachzusehen – Soldaten, die eine Tapferkeitsmedaille erhalten haben, wahrscheinlich auf die herabblicken, die sich eher in den Fuß schießen würden, als an die Front zu gehen.
Ich kann es meinen Patienten nicht verdenken.
Immer sind die Eltern schuld!
Außer größerem Mut gibt es noch etwas, in dem Psychotherapiepatienten sich von anderen unterscheiden. Immer wieder werde ich gefragt, welche Menschen denn so zu mir kommen. Manchmal aus echtem Interesse, manchmal in der heimlichen Sorge, es könne sich herausstellen, dass man auch »so etwas nötig« hat. Ich zähle Ihnen mal einige der Beschwerden auf, die Patienten zu mir führen:
Viele klagen zu Beginn der Behandlung über depressive Verstimmungen. Sie haben das Gefühl, immer wieder in tiefe schwarze Löcher zu fallen. Sie haben keine Lust mehr, am Leben draußen teilzunehmen, und würden sich am liebsten verkriechen, vielleicht gar nicht erst aus dem Bett aufstehen. Viele berichten, sie hätten ein geringes Selbstwertgefühl und fühlten sich minderwertig. Manche haben Selbstmordgedanken. Einige leiden unter Ängsten, manche unter solchen, die sich auf die Gesundheit oder den Körper beziehen, oder sie berichten über körperliche Symptome, für die sich von ihren Ärzten keine Ursache finden lässt. Manche Patienten verspüren eine innere Unruhe, haben Schlafstörungen oder Albträume. Viele fühlen sich einsam, haben Probleme mit dem Partner, mit den Eltern oder am Arbeitsplatz. So unterschiedlich die Beschwerden sein mögen – eines Tages ist mir klar geworden, dass alle meine Patienten eines gemeinsam haben: Sie alle haben unreife Eltern.
Mittlerweile glaube ich, dass genau das der Grund ist, der Menschen dazu bringt, sich mit ihren Nöten einem Psychotherapeuten anzuvertrauen. Sie fühlen sich unzureichend ausgestattet, um mit einer neuen oder einer sich wiederholenden, aber bisher nicht gelösten Lebenssituation umzugehen.
Ständig stellt das Leben uns vor neue Herausforderungen. Wir müssen uns von der Mutter verabschieden, um in den Kindergarten zu gehen, wir müssen in der Schule still sitzen und aufpassen, wir müssen uns in die Gruppe Gleichaltriger integrieren. Später müssen wir den richtigen Partner für uns gewinnen, wir müssen Verantwortung für unsere Kinder übernehmen, wir müssen zunächst für sie da sein und sie später wieder loslassen. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir geliebte Menschen verlieren und dass wir alt werden. Und das sind nur einige der Aufgaben, die uns erwarten können. An jeder von ihnen können wir scheitern.
Je unreifer Ihre Eltern waren, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie im Laufe Ihres Lebens in Lebenskrisen geraten, in denen es sinnvoll wäre, eine Psychotherapie zu machen. Diese Lebenskrisen ereignen sich oft dann, wenn man sich eigentlich einer Reifungsaufgabe stellen müsste.
Eltern sind dazu da, einem Kind die Welt und sich selbst zu erklären. Unreife Eltern können das nicht. Sie konnten ihren Kindern nur beibringen, was ihrem eigenen Reifegrad entsprach. Mitunter hat das tatsächlich mit dem Alter zu tun. Bei sehr jungen Müttern ist das Risiko deutlich erhöht, dass das Kind misshandelt oder vernachlässigt wird. Andererseits ist man nie zu alt dafür, eine Karriere als unreife Mutter oder als unreifer Vater zu starten.
Manchmal kommen Menschen mit einem Problem in die Praxis, das ausschließlich in der Gegenwart liegt, wo es nur darum geht, Begleitung in einer schwierigen Lebensphase zu haben. Hier ist die Ursache von Anfang an klar, und die unbewusste Abstellkammer spielt vielleicht nur eine geringe Rolle. Möglicherweise geht es um den Verlust eines nahen Angehörigen, darum, dass der Partner sich getrennt hat oder dass man selbst schwer erkrankt ist.
Das sind die Fälle, bei denen eventuell auch die Unterstützung eines guten Freundeskreises ausreichen würde. Trotzdem entscheiden sich manche
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