Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin

Titel: Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Menschen auch hier für eine Psychotherapie, weil sie jemanden suchen, der imstande ist, auch sehr heftige Gefühle auszuhalten, und der sie ihnen nicht ausreden will, weil er davor erschrickt oder weil sie ihn hilflos machen.
    Meistens kommen die Patienten jedoch mit Symptomen, die sie verwirren und deren Ursachen sie sich nicht erklären können. Oder sie befinden sich in Situationen, die sie nicht überschauen können, beispielsweise wiederholten Problemen in der Partnerschaft (»Warum scheitern meine Beziehungen immer?«) oder im Beruf. Hier geht es darum, den Anteil, der mit einem ungelösten lebensgeschichtlichen Problem zu tun hat, aufzudecken.
    Lebensgeschichtlich, ha! Unreife Eltern! Sie haben es geahnt. Psychologen geben immer den Eltern die Schuld an allem. Ja, es stimmt, wir gehen davon aus, dass das, was in der frühesten Lebensphase geschieht, die Persönlichkeit eines Menschen prägt, seine Einstellung zu sich selbst und zur Welt. Für Patienten ist es oft schwer zu akzeptieren, dass für ihre aktuellen Probleme vielleicht etwas verantwortlich ist, woran sie sich gar nicht mehr erinnern können. So kann ein Kind mit drei Jahren adoptiert worden sein, oder die Mutter hat sich damals auf Nimmerwiedersehen von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt, und das Kind hat keine Erinnerung an die Zeit vorher. Es scheint so zu sein, dass wir uns bewusst erst an die Zeit erinnern können, zu der wir bereits sprechen konnten. Was allerdings nicht im Mindesten bedeutet, dass die Zeit vorher – so wie die Kindheit überhaupt – nicht den Bauplan unserer Psyche prägt.
    Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wenn ich privat Menschen kennenlerne, die Stein und Bein schwören, was in ihrer Kindheit geschehen sei, liege lange hinter ihnen und spiele für sie keine Rolle mehr. Sobald sie jedoch nur einen Tropfen Alkohol getrunken haben, erzählen sie den Rest des Abends von Eltern, die sie schon mit vier Jahren auf die jüngeren Geschwister aufpassen ließen, während sie selbst tanzen gingen, oder vom Vater, der immer nur Interesse für den älteren Bruder gezeigt hat.
    Ja, wir Psychotherapeuten glauben daran, dass die Haltung eines Menschen zur Welt, ob er sich darin grundsätzlich geborgen fühlt oder ob er sie als feindselig empfindet, sich bereits in den ersten eineinhalb Jahren seines Lebens entwickelt.
    Aber um Schuld geht es dabei ganz gewiss nicht. Dieser Begriff hat vielleicht etwas in Gerichtssälen verloren oder dort, wo es auf einer Kreuzung gescheppert hat, nicht aber in einer psychotherapeutischen Praxis.
    Keine Frage: Es gibt Eltern, die man für Monster halten könnte, und es gibt keine Grausamkeit, zu der Eltern ihren Kindern gegenüber nicht fähig wären. Diese Dinge geschehen pausenlos irgendwo auf der Welt oder gerade jetzt ganz in Ihrer Nähe.
    Elternschaft ist kein Ausbildungsberuf, auch wenn Psychotherapeuten sich nach einem langen harten Arbeitstag oftmals nichts mehr wünschen als das. Manche Patienteneltern hatten lange auf ein Kind gewartet, andere waren Jugendliche, die ungeplant schwanger wurden, manche haben Kinder bekommen, weil es einfach »dazugehört«. Aber alle, die besten und die schrecklichsten, machen es so gut sie es können.
    Es gibt Versuche, die zeigen, dass sogenannte Elternschulen, flächendeckend eingesetzt, Erfolge erzielen, die noch Jahrzehnte später messbar sind. Man braucht junge Elternpaare lediglich ein paar Stunden lang in Vorträgen darüber zu informieren, was ein Kind braucht, was seiner Entwicklung nützt und was ihm schadet. Man setzt einen Sozialarbeiter in das Viertel, an den sie sich bei entsprechenden Fragen wenden können. Dann wartet man zwanzig Jahre lang ab. Und stellt fest, dass es in diesem Viertel (im Vergleich mit anderen, wo diese Maßnahme nicht stattgefunden hat) weniger Kriminalität, höhere Schulabschlüsse und eine geringere Arbeitslosenquote gibt.
    Vielleicht lehnt manche Mutter oder mancher Vater ihr oder sein Kind ab. Manche Eltern quälen ihre Kinder sogar. Wahrscheinlich haben Sie einen Fernseher oder lesen ab und zu die Zeitung. Ich muss also nicht ins Detail gehen. Aber niemand beschließt, ein sadistisches oder vernachlässigendes Elternteil zu werden.
    Unfähige Eltern hatten selbst unfähige Eltern, und wenn man lange genug zurückgeht, kommt man irgendwann zu Quastenflossern, deren Nachkommen sich wünschen, es gäbe bereits so etwas wie ein Jugendamt. Nein, wir geben den Eltern nicht die Schuld daran, wenn es ihnen nicht

Weitere Kostenlose Bücher