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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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Ideen, erreiche schiebend und stoßend irgendwann das Nadelöhr, sitze rechtzeitig im Flugzeug, alles ist hier und jetzt in Ordnung. Selbst als Stunden später die notorischen Sofort-nach-der-Landung-Aufsteher den Gang verstopfen und mir ihre bereits geschulterten Rucksäcke ins Gesicht rammen, selbst dann lasse ich mich, schwer atmend, nicht aus der Ruhe bringen.

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    M eine Vorstellung von Omas, wie man heute die über sechzigjährigen Frauen salopp nennen darf, ist von gestern. Orientiert sich an den Erinnerungen, die mir meine Omas hinterlassen haben. Sie waren Stiefomas. Die leiblichen, die echten, habe ich nie kennengelernt, sie wurden im vorletzten Jahrhundert geboren, in einer Zeit, in der man eine Oma noch Großmutter nannte. Die neue Zeit haben sie nicht mehr erlebt.
    Meine erste Stiefoma, die Oma meiner jüngeren Schwester, habe ich sehr gemocht, sie mich, glaube ich, auch, obwohl ich doch nur das »Stiefenkelchen« war. Die Mannheimer Oma war eine Meisterin im Kuchenbacken, köstliche Pflaumenkuchen, Dampfnudeln, Schwarzwälder-Kirsch-Torten. Sie hat auch immer etwas für meinen Vater mitgebacken, den armen Herrn Westermann, der von seiner Frau verlassen worden war, weil die sich in Omas Sohn verliebt hatte und nun ihre Schwiegertochter war.
     
    Die Mannheimer Oma war in zweiter Ehe mit Opa Heinrich, einem ehemaligen Lokführer der Reichsbahn, verheiratet. Als Rentner hatte er freie Fahrt, bekam jeden Monat ein beträchtliches Kontingent an Bahngutscheinen. Oma, die Unternehmungslustige,war stets auf Achse, bevorzugt in Bayern, von wo sie gern mit einer Ladung maßgeschneiderter Dirndl heimkehrte. Was Opa Heinrich zum einen wegen der Schneiderrechnung, zum anderen wegen Omas im Dirndl fest verschnürten, üppig wogenden Busens an den Rand einer veritablen Herzattacke brachte. Wenn ich morgens manchmal unerwartet klingelte, um meine Schwester abzugeben, zeigte sie sich wortkarg, ihr Gebiss lag noch im Badezimmer in einem Wasserglas. Oma Mannheim war im Krieg ausgebombt worden, ihr Retter war Opa Heinrich gewesen, er hatte in alle Richtungen gute Kontakte. Sie nahm ihn und die Wohnung, die er besorgte. Zwei Zimmer, Küche, Bad im Erdgeschoss, Omas Sohn aus erster Ehe bekam sein eigenes Zimmer, der andere Raum war Wohn-/Schlaf-/Esszimmer in einem.
    Opa Heinrich saß tagsüber am zur Straße hin geöffneten Fenster, zog an seiner Pfeife, wünschte den Vorübergehenden einen Guten Tag, tauschte sich mit den Nachbarn aus, die in den gegenüberliegenden Häusern in ihren Fenstern lagen. Auf den Ehebetten thronten gewaltige Kissen, ich glaubte, man nannte sie Paradekissen, so sahen sie auch aus, mit dem akkuraten Knick genau in der Mitte. Wenn Oma mit Eimer und Schrubber um Opa Heinrichs Beine wuselte, fluchte er still vor sich hin. Dass Oma von seiner Pension, die sie verwaltete, heimlich größere Teile an ihren Sohn weitergab, machte ihn, wenn er dahinterkam, rasend. Dann ging er schon morgens in die Eisenbahnerkantine und kam erst spät am Abend wieder zurück.
    Parfüm und Lippenstift hat Oma Mannheim nur an besonderen Festtagen benutzt. Dass sie besonders waren, war weithin zu erkennen, weil Oma beim Friseur gewesen war und »was Gutes« angezogen hatte. Omas Kleider gingen immer bis an die Waden, sie trug fleischfarbene Stützstrümpfe, ihre Füße steckten in Schuhen aus der orthopädischen Abteilung. In einer langen Hose habe ich sie nie gesehen. Als ich Oma Mannheim kennenlernte, war sie so alt, wie ich es heute bin: 65.
    Meine Mutter ließ sich schnell wieder von Omas Sohn scheiden, er zog zu seiner Mutter zurück. Der arme Herr Westermann war weiterhin wohlgelitten, die Versorgung mit Kuchen riss nicht ab.

     
    Ein paar Jahre später bekam ich wieder einen neuen Stiefvater und damit noch mal eine neue Oma. Sie kam aus Westfalen, was zu einer Revolution in unserer Küche führte, sobald die Bocholter Oma zu Besuch kam. Sie kochte täglich die Lieblingsgerichte ihres Sohnes, womit sie bereits in aller Herrgottsfrühe begann. Um sieben Uhr morgens roch es bei uns im ganzen Haus schon heftig nach Sauerkraut, das bis zum Nachmittag vor sich hin kochte, bis es schließlich alle Geschmacksstoffe verloren hatte und mit fettem Bauchfleisch und den aus der westfälischen Heimat mitgebrachten Mettwürsten angedickt wurde. Beim Kochen und auch sonst trug Oma Bocholt diverse Variationen geblümter Kittelschürzen, darunter einen Hüfthalter, der manchmal noch morgens in der Frühe im Badezimmer über der Leine

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