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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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und neue Hits, Volkslieder, Kinderlieder, Ohrwürmer.
    Ich bin dabei, stehe mit Freunden in einer sehr dunklen Ecke, die ich mit Bedacht gewählt habe. Dort fällt es nicht auf, wenn ich praktisch durchheule. Zumal ich keinen Plan habe, wie ich erklären sollte, warum ich schon beim Refrain von »Bolle reiste jüngst zu Pfingsten« mit dem Weinen anfangen muss.
    Warum? Ist es ein Zurücksehnen in jene Zeit vor geschätzten fünfundfünfzig Jahren, als man den »Bolle« auf Schulwandertagen fröhlich und ohne Tränen geschmettert hat. Oder sind die Tränen ein Symbol der Dankbarkeit? Dass ich spüren kann, welch weiten Weg ich seit jener Schulzeit zurückgelegt habe? Dass er zwar voller Irrungen und Wirrungen war, mir wirkliche Schicksalsschläge aber erspart geblieben sind? Dass es mir gut geht? Sind meine Tränen die gefühlte Dankbarkeit für das Hier und Jetzt?

29
    W arum war ich viele Jahre meines Lebens so versessen darauf, der Zukunft auf die Spur zu kommen? Ich wollte unbedingt wissen, was kommt. Nicht morgen oder in einem Monat, das konnte ich gerade noch überblicken. Aber was würde in einem halben Jahr, im nächsten, in fünf Jahren sein? Würde alles gut bleiben/werden/sein? Wäre ich glücklich? Glücklicher als jetzt, in diesem Augenblick?
    Glück, das war ein wildes Sammelsurium aus Mann, Liebe, Geld, Reisen, Erfolg, Be- und Geliebtsein. Die Reihenfolge ließ sich je nach Lebens- und Stimmungslage willkürlich durcheinanderschütteln. Nur große und kleine Katastrophen sollten mir bitte zukünftig erspart bleiben. Wobei ich nicht wirklich eine Vorstellung davon hatte, was mich glücklich machen würde. Geld ohne Liebe, Mann ohne Geld, Mann mit Geld, aber ohne Liebe, Liebe ohne Geld … Ruhelos, gehetzt, aufgescheucht kommt mir das im Rückblick vor. Als ich dieses Buch vor knapp zwei Jahren zu schreiben begann, hat mich die Ungewissheit mächtig umgetrieben, was das Leben noch mit mir vorhaben würde, ob es überhaupt noch etwas vorgesehen hat. Schließlich war ich jetzt bald Mitte sechzig, das bedeutete alt, langsam ging es auf die Zielgerade zu. Was würde noch kommen, was könnte noch gehen?

    Ich möchte gern benennen, was mir seither passiert ist, aber ich finde keinen gescheiten Begriff für die Veränderung, die ich erlebe. Ich will mich nicht in die endlose Schlange all jener einordnen, die vom Buddhismus schwärmen oder sich ihm gänzlich verschrieben haben. Ich will mir nicht den Nachttisch mit Lebensratgebern vollladen, endlich auch mit Yoga anfangen und mir zweimal im Jahr irgendwo an der Mosel bei einer Ayurveda-Kur Öl auf die Stirn gießen lassen.
    Besser: Ich will es jetzt nicht. Kann gut sein, dass ich in ein paar Jahren mit Hingabe den Herabschauenden Hund gebe, dass ich ohne heißes Fett nicht mehr auskomme, mich ganz vorn in die buddhistische Menschenschlange einreihe. Erst mal aber will ich raus aus der Masse, herausfinden, was für mich, und nur für mich, gut und richtig sein könnte.
     
    Thich Nhat Hanh gilt als bedeutendster Meister der buddhistischen Lehre neben dem Dalai Lama. Thich Nhat Hanh ist fast neunzig Jahre alt, floh im Vietnamkrieg nach Europa, lebt und praktiziert seit vielen Jahren in einem Kloster im Süden Frankreichs. Er hat etwas gesagt, was mich bestärkt:
    »Die Menschen im Westen mögen unsere Lehre, weil sie nicht durch viele Rituale beschwert ist, sie ist nicht kompliziert, überladen mit Theorie. Es geht um das tägliche Leben. Wir tragen den Buddhismus zwar im Namen, aber Du musst kein Buddhist werden, um unsere Praxis anzuwenden. Wir nennen sie Achtsamkeit, sie ist allgegenwärtig. Wir Menschen haben keine große Begabung, im Augenblick zu bleiben. Aber in der Gegenwart zu leben, ist eine Art von Energie, die Du in dir selbst erschaffen kannst. Sie hilft, Anspannung und Trauer loszulassen und das Leben mehr zu genießen. Wer achtsam ist, kann mit Leid, mit Wut, mit Verwirrung besser umgehen.«
     
    Das gefällt mir. Achtsamkeit.
    Was ist hier und jetzt nicht in Ordnung?
    Ich sitze hier, schreibe diese Zeilen, habe noch keine Ahnung, wie ich sie zu Ende bringen werde. Ich könnte jetzt beginnen, daran zu zweifeln, ob dieses Kapitel überhaupt sinnvoll ist. Es ist durchaus schwierig, zu beschreiben, warum etwas sehr Simples wie Achtsamkeit sehr gut tut. Hat etwas von einem Stromkreis, bei dem die Energie, sobald er unterbrochen wird, nicht mehr fließen kann. Im übertragenen Sinne: Ich werde ungenau in meinen Beschreibungen, finde nur unzureichende

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