Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Worte, komme ins Faseln, wenn ich nach außen gehe, um Fremden zu beschreiben, was Achtsamkeit bewirkt.
Wie könnte ich beschreiben, dass ich schon eine Weile sehr leise und von mir beinahe unbemerkt glücklich bin? Es kommt nicht mit großem Harfenspiel daher, dieses Glück, es hat sich in aller Stille ausgebreitet. Und hat zur Folge, dass ich nicht mehr ganz so drängelnd und fordernd durchs Leben haste. Sich die Fragen nach dem Wohin, dem Wie-lange-noch, Was-kommt-noch allmählich zurückgezogen haben.
Das Ziel ist jetzt.
Das kann im täglichen Leben nicht gehen? Stimmt, nicht am Anfang, da scheint es schier unmöglich, auch nur ein paar Sekunden innezuhalten, ohne sich sofort wieder ablenken zu lassen und an irgendetwas zu denken. Man kann Achtsamkeit aber trainieren.
Wie zum Beispiel das Laufen auch. Am Anfang meiner Jogginglaufbahn konnte ich nicht mehr als anderthalb Minuten mit erhöhter Geschwindigkeit geradeaus laufen. Zwanzig Jahre später schaffe ich das locker eine Stunde, ich kann das noch gut steigern. So ähnlich trainiert man Achtsamkeit, jeden Tag und jeden Tag ein bisschen länger. Sich dabei auf den Atem zu konzentrieren, hilft enorm, das klappt bei mir nicht immer. Ich vergesse das bewusste Atmen, aber die Achtsamkeit ist dennoch da.
Ich »trainiere« seit einem Jahr, ich gehe zu Georg, der Achtsamkeit mühelos und kinderleicht vorlebt und in Kursen lehrt. Jener Georg, den ich am Morgen vor meinem Aufbruch ins Kloster getroffen und dem ich robust mal eben erklärt habe, dass er mir doch wohl nicht sagen wolle, wie sich die Welt drehe. Schließlich sei ich schon 65, er dagegen knapp über vierzig. Warum er denn unter diesen Umständen glaube, besser über das Leben Bescheid zu wissen als ich? Ach, was möchte ich mich jetzt noch mauseklein machen, wenn ich an diesen Dialog denke.
Georg ist seit einiger Zeit mein Begleiter. Mein Lehrmeister? Meide ich, dieses Wort. Lehrmeister klingt streng, nach lernen, sich anstrengen, geprüft werden, sich bewähren müssen. Nichts davon ist richtig. In seinen Seminaren, seinen Einzelstunden wird viel gelacht, ja gut, auch geweint, dafür fühle ich mich persönlich verantwortlich. Keiner muss verbissen um Achtsamkeit, um den Augenblick kämpfen. Macht nichts, wenn das am Anfang nicht mühelos gelingt. Stattdessen wird einem ziemlich schnell bewusst, wie blitzschnell man sich in seinem Gedankenirrsinn verheddert, nicht im Augenblick bleibt, sondern bereits den Donnerstag dernächsten Woche plant. Es sind die Gedanken, die vorauseilen oder sich in Vergangenem verlieren, den Augenblick, das Jetzt überspringen sie.
Mein Lieblingssatz im Achtsamkeitsprogramm von Georg heißt »Was ist hier und jetzt nicht in Ordnung?«.
Der Augenblick zählt.
Und Glück und Leid gehören zusammen.
»Im Vietnamkrieg«, erzählt Thich Nhat Hanh, der Mönch, in einem Interview, »habe ich viel Leid gesehen. Damals baute ich mit anderen Mönchen in der demilitarisierten Zone ein Dorf für Flüchtlinge. Kurz darauf wurde es von den Amerikanern bombardiert, weil sich Vietcong dort versteckten. Also bauten wir es wieder auf. Wieder wurde es bombardiert. Und wir bauten es wieder auf. Beim dritten Mal diskutierten wir. Würde es sich lohnen, das Dorf erneut aufzubauen? Meine Meinung war, wenn wir jetzt aufgeben, werden die Menschen jede Hoffnung verlieren. Also errichteten wir die Unterkünfte wieder. Ein drittes Mal, ein viertes Mal. Und schließlich auch ein fünftes Mal.
Wir bemühen uns, Leid in Gutes zu verwandeln. Auch die Lotusblume braucht Schlamm, um zu gedeihen. Sie wächst nicht auf Marmor. Man muss erkennen, dass es eine enge Verbindung zwischen Leid und Glück gibt. Wer vor dem Leid wegläuft, kann kein Glück finden.«
Georg, mein Achtsamkeitslehrer, übersetzt für Thich Nhat Hanh, wenn der einmal im Jahr nach Deutschland kommt und ein Seminar gibt. Georg hat als politischer Journalist im Fernsehen gearbeitet. Wollte gut sein, musste unter Zeitdruck liefern, hat sich im Hamsterrad so lange verausgabt, bis Körper und Kopf sich verweigert haben. Er hat, was er besaß, verkauft. Was ihm noch wichtig war, hatte Platz in einem Rucksack, er ging nach Südfrankreich, in das Kloster des Mönchs aus Vietnam, blieb ein paar Jahre, kam zurück nach Köln. In fröhlicher Gelassenheit lehrt er jetzt Hamsterradmenschen wie mich die Schönheit des Augenblicks.
In dem Interview, aus dem ich zitiert habe, fragt der Journalist den Mönch am Ende: »Sie klingen
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