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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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Zug sitzen, hat Constantin einen Plan. Er muss nur noch seine Mutter dafür gewinnen. Was ihm gelingt. Als der Zug durch Deutschland fährt, steigen sie in Köln aus, fahren weiter ins Ruhrgebiet, dort kennt die Mutter jemanden aus früheren Zeiten.
    Alles, was sie haben, sind Wagemut und zwei Koffer. Es reicht, um sich allmählich gut einzurichten in einer fast neuen Welt.
    Vor allem Constantin ist darin perfekt. Er probiert alles aus, rauscht durch sein Leben, die Mädchen rauschen mit, er lässt nichts anbrennen. Irgendwann, relativ früh, mit Anfang zwanzig, ist er es leid. Will die Richtung ändern, sucht nach einem neuen Weg.
    Er wendet sich der Kirche zu, studiert katholische Theologie. Mönch zu werden will er seiner Mutter nicht antun. Sich selbst wohl auch nicht.
    Er nimmt Betriebswirtschaft dazu, schließt das Studium mit Bravour ab, macht seinen Doktor, verdient viel Geld.
    Aber (s)einen Weg kann er nicht erkennen.
    Bis ihm jemand die Broschüre eines buddhistischen Zentrums hinschiebt.
    Constantin macht eine Ausbildung zum Zen-Meister, bleibt dabei mitten im Leben, heiratet, wird Vater zweier Töchter.
    Jetzt sitzt er mir hier im Garten des Zen-Klosters gegenüber, wir machen ein Interview für das Fernsehen.
    Und das ist der Moment, wo ich mir meinen Lippenstift herbeiwünsche. Nicht dass ein bisschen Farbe auf meinen Lippen ihn weiter beeindruckt hätte, aber mich hätte es vielleicht zu Beginn eine Spur souveräner gemacht.
    Wirklich?
    Frau mit Lippenstift ist mehr Frau?
    Und warum will ich mehr Frau sein, nur weil ich einem gut aussehenden Mann gegenübersitze?
    Lohnt es sich, über Jahrzehnte entstandene Muster zu hinterfragen? Will ich sie ändern? Kann ich es überhaupt?
     
    Für die nächsten anderthalb Stunden bleibt mir gar nichts anderes übrig. Mein Lippenstift hat sich nämlich auf dem Weg ins Kloster von mir verabschiedet. Istmir in der Toilette des ICE aus der Hand gerutscht, hat sich im Waschbecken mit schnell kreiselnden Bewegungen meinem Zugriff entzogen und sich mit einem letzten silbrigen Blinzeln Richtung Ausguss auf seinen Weg ins Unbekannte gemacht.
    Ein Moment der Panik, dann die nötige Gelassenheit. Gut, bin ich eben nur Christine Westermann. Die ohne Lippenstift. Die mit Zen-Constantin spricht, ein bisschen flirtet, nur so aus Übungszwecken. Anderthalb Stunden vergehen wie im Flug. Das Gespräch wird später komplett herausgeschnitten. Taucht in der Fernsehdokumentation nicht auf. Warum?
    Haben wir das Thema verfehlt?
    Wir haben uns gut unterhalten, miteinander übers Leben geredet.
    Schließlich sind wir beide schon unterwegs.
    Er ist mir nur ein Stück voraus.

11
    I ch trage eine sehr gelbe Strickjacke. Es passiert nur den Anfängern, dass sie Lust auf Farben haben. Die anderen, die Eingeweihten, halten sich bedeckt. Mit grauen, leisen Farben. Nichts, was ins Auge fällt, was die anderen in ihrer Konzentration stören könnte.
    Ich schäme mich ein bisschen, leuchtend wie ein Paradiesvogel daherzukommen. Gelbe Strickjacke, rote Hose, alles schön bunt hier bei mir. Zu bunt. Ich werde freundlich, aber energisch gebeten, mich umzuziehen, wähle ein schales Beige.
     
    Damit es nicht noch weitere Pannen gibt, folgt eine freundliche Einweisung. Von einer Zen-Meisterin, die etwas Schwarz-Weißes trägt und über deren Leben ich mir sofort Gedanken mache. Mein Drehbuch sieht für sie eine große Enttäuschung in der Liebe vor. Ein Mann, der sie verlassen hat. Ziemlicher billiger Plot, aber egal.
    Kann billig nicht auch wahr sein?
    Rückzug in die Selbstbesinnung, ein paar Jahre in einem Kloster, am besten in einem japanischen, das macht mehr her. Irgendwann ist sie dann hier angekommen, im Schweigen, im Augenblick, in der Farblosigkeit.
    Vielleicht sogar in der Vollkommenheit.

    Was fehlt ihr noch zu ihrem Glück? Nichts?
    Diese Möglichkeit treibt mich augenblicklich um.
    Und noch etwas anderes.
    Es gibt Seelenverwandtschaften, da bin ich mir ganz sicher. Diese Sicherheit ist dennoch vage, weil ich sie nicht begründen und schon gar nicht erklären kann. Aber als ich dieser Frau gegenüberstehe, die mich in die Grundbegriffe der Meditation und des Zen einweisen wird, bin ich mir sicher. Irgendetwas verbindet uns.
    Ich habe nur keine Ahnung, was es ist.
    Sie spricht von Gelb und Rot und den Farben, die es zu bändigen gilt. Von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit.
    Sie hat wunderschöne grünblaue Augen, in die ich hineinfalle und dabei sofort das Zuhören einstelle. Sie redet, aber

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