Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Leben zusammenhält. Gottvertrauen hat etwas mit Urvertrauen zu tun. Das Wissen darum, dass jemand immer an meiner Seite ist, egal, was passiert.
Von klein auf war das bei mir mein Vater. Auf ihn konnte ich mich bedingungslos verlassen. Sein plötzlicher Tod war mein ganz persönlicher Urknall. Danach verschwand alles für Jahre in einem schwarzen Loch. Vielleicht hat Gott damals den Platz meines Vaters eingenommen. Und ist bis heute geblieben. Den Glauben, dass ich Trauer und Verzweiflung immer irgendwie überleben würde, habe ich danach nie mehr verloren.
Wenn ich auf Reisen, in fremden Städten bin, gehe ich gern in Kirchen. Setze mich hin und spüre der Stille nach. Zünde Kerzen für Menschen an, denen ich mich nahefühle. Mache ich manchmal auch im Kölner Dom. Nach einer Radiosendung rüberhuschen und Kerzen leuchten lassen.
Erst jetzt, Jahre später, ausgelöst durch den Klosterbesuch, wird mir bewusst, dass es einen Platz in meinem Inneren gibt, an dem ich zur Ruhe komme, zu Hause bin. Still ist es dort. Und ich fühle mich sicher, sehr sicher. Ist es mein Gotteshaus?
Die Meditation war für mich eine neue Form des Mit-mir-Alleinseins. Sie hat mich keine Minute gelangweilt oder angestrengt. Im Gegenteil, sie war mir sehr vertraut, eine überraschend schöne Erkenntnis.
Ich reise also sehr früh am Morgen ab, sehe in der Dunkelheit noch die schnellen Geher, bin selbst in Eile, denke nicht an das Jetzt, die Füße, die den Boden berühren, habe schon alle guten Vorsätze des Innehaltens vergessen.
Nur das wartende Taxi zählt, das mich zum Bahnhof bringt. Lauter als sonst höre ich den Lärm um mich herum, aber noch dominiert die Stille in mir. Ich sitze im Zug, bin auf dem Weg nach Hause, nach Köln.Hoffe, dass ich alle Eindrücke konservieren kann. Wie man Kirschen oder Pflaumen einkocht, in Gläser füllt, damit man noch lange Zeit etwas von ihnen hat.
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M it der Wucht des Alltags habe ich nicht gerechnet, ich habe sie unterschätzt. Es stellt sich schnell eine unbestimmte Sehnsucht ein, nach einem geregelten Tagesablauf, dem Gehen am frühen Morgen, dem Schweigen, dem Strand im Stabparkett, den Kirchenglocken. Die Hektik, die sich beinahe sofort anschleicht, ist mir zuwider, ich wehre mich dagegen, so gut es geht.
Nachts träume ich von einer fetten grün gesprenkelten Schlange, die sich auf meine Luftmatratze drängt. Ich zögere keine Sekunde, greife beherzt zu. Direkt hinter ihrem Kopf drehe ich ihr die Luft ab. Eine Nacht später sind die Schlangen kleiner, aber mehr geworden. Macht nichts, ich schneide ihnen mit einer Nagelschere die Köpfe ab.
Angst? Nein, höchstens für den Bruchteil einer Sekunde. In meiner inneren Ursuppe kommt wohl gerade einiges in Bewegung.
Wochen später bin ich im Schneideraum und sehe den Rohschnitt der Dokumentation. Stelle sehr irritiert fest, dass auch mein Lieblingslippenstift es nicht rausgerissen hätte. Kein bisschen. Ich sehe eine müde ältere Frau in einer ollen Strickjacke, die diesem optischin der Tat beeindruckenden Constantin gegenübersitzt und zuhört. Falls es Flirtversuche gegeben hat, dann wohl nur in meinen Gedanken. Wunschdenken. Ich bin überrascht, wie sehr man stattdessen meinem Gesicht die seelische Not ansieht. Die Zweifel, ob es gut war, worauf ich mich eingelassen habe. Die Anstrengung, vor aller Öffentlichkeit nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Manchmal flüchte ich mich im Gespräch in leichte Ironie, das geht ordentlich daneben.
Es kostet mich Kraft, mir das auf dem Bildschirm anzugucken. Manchmal blinzele ich nur noch Richtung Monitor, möchte, dass es vorbei ist.
Dabei fängt sie gerade erst an, die Mutprobe. Mein Innerstes nach außen zu kehren. Im Fernsehen. Für jedermann sichtbar.
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W erde Du erst mal so alt wie ich, dann können wir noch mal darüber reden. Ich hätte nie gedacht, dass mir mal so ein überheblicher Satz herausrutschen würde.
Ich bin jung an der falschen Stelle. Noch zu jung, um schon die Weisheit des Alters zu haben. Die Weisheit eines Menschen, hat jemand gesagt, bemisst sich nicht nach seinen Erfahrungen, sondern nach seiner Fähigkeit, Erfahrungen machen zu wollen. So weit bin ich wohl noch nicht. Ich schmettere jedenfalls den ersten Versuch des Produzenten, mich vor dem Klosterbesuch noch mit einem Meditations- und Atemtherapeuten zusammenzubringen, fast schon empört ab.
Will ich nicht, brauche ich nicht.
Wie alt ist er? 43?
Ist doch lächerlich, ich bin mehr als zwanzig Jahre
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