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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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finde? Weil es gemein und billig ist? Weil ich in meinem Leben schon viel zu viele Wichtigtuer getroffen habe, die hemmungslos über einen herfallen, einen zuschwallen und nicht eine Sekunde versuchen, eine wirkliche Unterhaltung zu führen, den anderen mit einzubeziehen. Ich weiß, dass das stimmt, weil ich selbst so ein Wichtigtuer sein kann. Von Reisen erzähle, die besonders attraktiv waren, von Weinen, die schwer zu kriegen sind, von Golfplätzen, die eine phänomenale Lage haben. Wenn ich es merke, dann ist es übrigens immer zu spät. Mir bleibt nur unangenehmes Schamgefühl. Ich bin mir selbst peinlich.
    Wenn ich an Empfänge nach Preisverleihungen, an After-Show-Partys, an Filmpremieren oder Lesungen denke, dann laufen Gespräche oft so ab wie gerade beschrieben. Um ehrlich zu sein, manchmal auch anders, aber meist gehen sie nicht gut aus, wenn ich den Anfang mache. Sicher mit ein Grund, warum ich mit völlig Fremden lieber stumm auf der Stelle trete.
    Small Talk konnte ich noch nie, nicht mit 25 und mit 65 schon gar nicht.
     
    Jedes Jahr richtet der Sender, bei dem ich arbeite, ein großes Fest für prominente Fernsehleute aus. Zu den Prominenten zählen die, die vor einer Kamera stehen dürfen oder einen wichtigen Preis, in welcher Kategorie auch immer, bekommen haben. Man muss dabei nur eine Regel beachten: zusammenstehen, smalltalken und sich amüsieren. Nach meiner Erfahrung sehen die meisten so aus, als könnten sie das.

    Jetzt kann ich nicht Jahr für Jahr das klinische Wörterbuch bemühen, um eine möglichst originelle kleine Krankheit zu finden, die schnell vorbeigeht, nicht lebensbedrohlich ist, aber doch so unangenehm, dass sie einen unter allen Umständen leider davon abhält, jenes Fest zu besuchen. Dieses Jahr bin ich dran, soll ich, muss ich dabei sein. Auf dem Weg dorthin schicke ich diverse Wünsche ans Universum, erbitte inbrünstig etwas sehr Unverhofftes. Stromausfall, Hochwasser, Erdbeben, Eisberge, die auf den Partyort zutreiben.
    Das Universum zeigt sich ungnädig. Beinahe schon gnadenlos, denn ich komme auch noch zur rechten Zeit, weil ich diesen Pünktlichkeitswahn habe. Das heißt, ich treffe zusammen mit einem großen Schwung Promileuten ein, muss über einen roten Teppich, nach allen Seiten grüßen, in zehn Kameras lächeln. Prompt rausche ich dem ersten Promi, der vor mir steht, in die Hacken, weil ich mich darum bemüht habe, den Fotografen ein wirklich gut gelauntes Lächeln zu schenken.
    »Hallo, wie geht’s?«
    »Danke, und Ihnen?«
    »Gut.«
    Und jetzt? Jetzt ist da nichts. Nichts als Schweigen, das mir in den Ohren dröhnt. Ich könnte die Flucht nach vorn antreten und ihn fragen, ob er Small Talk auch so schlecht beherrscht wie ich, aber ich traue mich nicht.
    Er sagt nichts und mir fällt nichts ein.
    Ich könnte den Anfangsdialog variieren, in veränderter Form neu auflegen:
    »Und, alles gut?«
    Oder:
    »Wie isses?«

    Es geht sogar noch eine Nummer smaller, schlichter:
    »Ach, auch hier?«
    Mir bricht vorsichtig der Schweiß aus.
    Der Kopf denkt komplett verquer: Der Typ findet mich total blöd. Bestimmt, sonst würde er doch was sagen. Sicher wartet er nur höflichkeitshalber noch eine halbe Minute, zieht erleichtert weiter, um endlich mit Menschen in Kontakt zu kommen, die deutlich beredter sind als ich. Soll ich ihm einfach zu verstehen geben, dass er mich stehen lassen kann, weil ich nichts zu sagen habe? Noch stehen wir uns gegenüber, belauern uns unsicher, ich kann seinen Blick nur schlecht aushalten. Ich lächle, täusche coole Lockerheit vor, dabei fühle ich mich, als wäre ich schockgefroren. Und merke, wie ich mich mit Rekordgeschwindigkeit in etwas total Lächerliches hineinsteigere. Das hier ist keine Reifeprüfung. Es geht auch nicht um Leben und Tod. Es ist nur eine Party, ein fröhliches Fest. Es geht um nichts. Mag sein, dass die anderen das so sehen. Für mich fühlt es sich an, als ginge es um alles.
    Als liefe über meine Stirn in neonfarbener Laufschrift: Bitte sprechen Sie diese Frau nicht an. Es bringt nichts. Sie ist unfähig, mit Ihnen eine kleine Unterhaltung zu führen. Sie verschwenden Ihre Zeit.
    Ich lasse mich durchs Gedränge schieben. Wäre liebend gern unsichtbar. Wenn das nicht geht, wenigstens in einer kleinen, abgedunkelten Nische versteckt, wo ich entspannt zugucken kann, wie perfekt all die anderen ihre Wortwitze präsentieren, wie sie lachen, sich freuen, sich wohlfühlen, Spaß haben. Alle, nur ich nicht. Ich sehe Menschen,

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