Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
Vom Netzwerk:
lediglich eine neue Frisur, er hatte keine Ahnung, worauf ich mich einließ. Ich klärte ihn nicht auf, was ich vor allem hinterher ziemlich schäbig fand. Er übrigens auch. Meine Mutter wurde bei der Beratung nicht hinzugezogen, meine Eltern waren geschieden, der Kontakt bezog sich auf Besuchstage und Schulprobleme, nicht auf Friseurbesuche. Eine der wenigen Situationen im Leben eines Scheidungskindes, bei der die Trennung der Eltern auch mal was Positives zu haben schien.
    Ich erspare mir Details, was eine Dauerwelle und ein schlechter Friseur aus einem zwölfjährigen Mädchen machen können. Zusammenfassend könnte man sagen: Ich sah aus wie eine frühreife Stenotypistin. Mein Vater, der mir zwar zögernd, aber dennoch vertrauensvoll so viel Geld für einen Friseurbesuch gegeben hatte, war ehrlich entsetzt. Und traurig. Ich hatte ihm nicht gesagt, was eine Dauerwelle ist und was passieren kann, wenn sie schiefgeht. Ich versuchte zu verteidigen, wo es nichts mehr zu verteidigen gab. Ich habe mich noch lange dafür geschämt, das Vertrauen meines Vaters so ausgenutzt zu haben.

21
    E s ist ein Umbruch, und deshalb soll es auch so heißen. Das Buch, das ich jetzt schreibe, soll diesen herben, strengen, fordernden Titel bekommen: » UMBRUCH «. Buchstabentechnisch ist das ziemlich nah am UNTERGANG , aber die alphabetische Nähe wird von mir tapfer ignoriert.
    Wenn ein Buch schon » UMBRUCH « heißt, dann muss die Autorin auch so aussehen. Ernst, bewegt, zweifelnd und auf keinen Fall optimistisch. Es wird zum Umbruch kommen. Es ist unvermeidlich, wenn man 65 ist.
    »Mir ist nicht wirklich nach Lachen zumute«, sage ich folgerichtig der Fotografin. Es muss ein ernstes Foto werden, bitte keine fröhliche Westermann.
    Wird es am Ende tatsächlich ein ernstes Buch?
    Vor gut einem Jahr habe ich mit dem Schreiben begonnen, eine Frau am Strand eines Ozeans mit einem trüben Blick auf die Zukunft. Was hat sich verändert? Fühlt es sich noch so matt und beschwerlich an? Hin und wieder spüre ich eine galoppierende Leere, eine Unruhe, die mich nach vorn treibt.
    Es gibt in diesen Monaten eine merkwürdige Mischung aus Wehmut und unbestimmter Vorfreude, die mich oft weinen lässt. Als säße die Seele am Gefühlshahn, drehte auf und zu, um zu gucken, wasmich wohl zum Weinen bringen könnte. Kinder, die der Länge nach hinschlagen, ein Foto, das eine Erinnerung nach oben spült, Musik, bei der ich unter Tränen fröhlich und laut mitsinge. Mal gucken, was geht. Manchmal ist es die große Hilflosigkeit mit mir selbst, manchmal unbändiger Lebensübermut. Wenn man sich häutet, ist die neue Haut dünn, empfindlich, empfänglich. Eine Veränderung ist auch eine Häutung. Schöner Gedanke.
    Das Buch ist noch nicht zu Ende geschrieben, nichts ist abgeschlossen, die Fotos für das Umschlagbild aber werden Monate vorher gemacht.
    Der Umbruch: Schroff, sperrig ist die Anmutung des Titels, eine Art Kriegserklärung an mich selbst. Aber er ist doch auch stimmig, er ist doch schon in vollem Gange, der Umbau, oder? Das Leben verändert sich mit den Jahren, ich muss dem Rechnung tragen, anpacken, die Dinge anders handhaben als mit 55.
    Muss ich? Kann ich mich nicht sanft tragen lassen, die schwermütigen Gedanken ins Leere laufen lassen? Ich lerne vorsichtig, hin und wieder einzelne Augenblicke festzuhalten. Innezuhalten. Warum will ich dieses Jahrbuch, das ich gerade führe, unbedingt »Umbruch« nennen? Gut, die Statik meines Lebens wird gerade neu berechnet, ich muss an mir arbeiten. Muss ich? Arbeiten? Das heißt auch immer, mit mir ringen, mir etwas abringen. Was eigentlich? Eine neue Erkenntnis? Eine andere Einstellung? Dinge über Bord werfen, die nicht mehr zur 65 passen? Was passt nicht mehr dazu? Wer bestimmt denn, was nicht mehr passt? Ich? Oder die anderen? Und wer sind die anderen, die für eine öffentliche Meinung zur 65 sorgen? Und wie viele der Fünfundsechzigjährigen finden sich da wieder?

    Ich will nicht an mir arbeiten. Ich will lieber sachte mit mir umgehen.
    Der Umbruch. Vielleicht ist er gar nicht mein Ding. Und die Ernsthaftigkeit vielleicht auch nicht.
    Beim Fotografieren lässt sie sich jedenfalls nicht mehr länger halten. Ich lächle so heftig, dass die Augen zu kleinen Schlitzen mutieren. Nach ein paar Dutzend Probeaufnahmen stellen wir fest, dass sie auch bei komplett strengem Gesicht ihre asiatische Form nicht aufgeben wollen. Klarer Fall, es liegt an der Schminke, an der Maske. Die Form und Farbe des

Weitere Kostenlose Bücher