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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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geahnt, befürchtet, vielleicht sogar erwartet haben. Finanziell konnte er sein Kind mit allem versorgen, für alles andere musste er hoffen und wünschen. Gibt ein Vater, der sechzig ist, seinem Kind andere Dinge mit auf den Weg, als es ein Dreißigjähriger tut? Wie wäre mein Leben verlaufen, hätte ich ihn beständig um Rat fragen können? Wie viel mehr an sicherer Gewissheit, dass ich, so wie ich bin, gut bin, hätte er mir mitgeben können?
    Worüber hätten wir uns gestritten, wann hätte ich aufbegehrt?
    Wäre ich eine Lehrerin geworden, so wie er es sich für mich gewünscht hatte? Lehrer wäre er selbst sogern geworden, aber dann starben kurz hintereinander Vater und Mutter. Sechs kleine Kinder waren ohne Eltern und ohne Erbe. Kein Geld übrig, um eine gescheite Schulausbildung zu machen, erst viele Jahre später wurde er Beamter, wusste die, die ihm nah waren, gut versorgt. Das war ihm ungemein wichtig.
    Ich habe meinen Vater als einen Menschen erlebt, der großzügig und voller Nachsicht war. Nicht nur mit seiner Tochter. Ich gestehe mir allerdings auch ein, dass im Laufe der Jahrzehnte der Sockel, auf den ich das Denkmal meines Vaters gestellt habe, eher größer als kleiner wurde.
    Mit einem Denkmal hat man keine grundlegende Auseinandersetzung, jedenfalls keine, an die man sich viele Jahre später noch erinnert. Ich kann mich an keinen Streit mit meinem Vater erinnern. Die Jahre meiner Pubertät, der möglichen Rebellion haben wir nicht mehr gemeinsam erlebt. Mir ist allerdings im Gedächtnis geblieben, wie ich ihn einmal belogen habe. Und obwohl der Anlass aus heutiger Sicht unbedeutend, beinahe lächerlich war, habe ich ihn nie vergessen. Ein bisschen Scham ist immer noch dabei.
    Es war wenige Monate vor seinem Tod, ich war zwölf Jahre alt und fand mich nicht wirklich schön, um es mal vorsichtig zu sagen. Was, wie ich damals vermutete, zum großen Teil an meinen Haaren lag. Schnittlauchhaare, an denen sich nichts wellen, nichts kräuseln wollte. Sie hingen glatt runter, öde, komplett langweilig, wie ich fand. Manchmal hielt sie auch noch ein Klämmerchen in Schach. Bei der Planung eines zweitägigen Konfirmandenausfluges mit Übernachtung in einer Jugendherberge war ich schon Wochen vorher überzeugt, dass meine Chancen angesichts meines herben Pagenkopfes bei den mitreisenden Jungs äußerst gering sein würden. Ich sollte recht behalten.
    Die meisten der anderen Mädchen waren eindeutig natürliche Schönheiten mit ihren langen gewellten Haaren, und was sich nicht wellen wollte, wurde mit Ummengen an Haarspray dazu genötigt. Das Privileg, Haarspray zu benutzen, stand in unserem Hause nur meiner Mutter zu. Benutzung durch andere, womöglich Minderjährige, war strengstens untersagt.
    Wie nicht anders zu erwarten oder besser wie ich es mir schon in den schwärzesten Farben ausgemalt hatte, schüttete es bei der insgeheim doch so herbeigesehnten Nachtwanderung wie aus Eimern. Meine mühsam hochtoupierte und damit Volumen vortäuschende Haarpracht klebte mir nach wenigen Minuten wie drei Tage alte Zuckerwatte am Kopf. Die anderen Mädchen sahen mit ihren jetzt tatsächlich original wassergewellten Haaren aus wie direkt dem Bravo-Starschnitt entsprungen. Schon bei der dumpfen Erinnerung an diese Wanderung kriecht in mir wieder dieses merkwürdige Gefühl von damals nach oben. Das Gefühl der kompletten optischen Unzulänglichkeit, das mich auch heute noch hin und wieder rücksichtslos überfällt, manchmal auch in Fernsehsendungen.
    Zurück von diesem Desaster stand für mich fest, es muss sich was ändern, ich will eine Dauerwelle.
    Für eine Zwölfjährige damals ein unerhörtes Ansinnen. Weil unerhört teuer. Und unerhört sinnlos. Denn der Name ist leider nicht Programm. Eine vom Friseur fabrizierte Dauerwelle dauert eben nicht, jedenfalls nicht länger als drei Monate. Ab dann ist nichts mehr von ihr zu sehen. Wo mal Wellen waren, triumphiert wieder der Schnittlauch. Je nachdem, welchem Friseurman Anfang der Sechzigerjahre in die Hände fiel, variierte eine Frisur mit Dauerwelle zwischen total verwegen, altbacken oder völlig daneben. Wenn man Glück hatte, konnte der Coiffeur mit den Chemikalien umgehen. Hatte man Pech, und ich hatte Pech, verätzte einem das Wasserstoffperoxid die Kopfhaut und hinterließ pfenniggroßes Ödland, auf dem auch fünfzig Jahre später nichts mehr wächst. Nicht mal Schnittlauch.
    Meinen Vater konnte ich leicht um den Finger wickeln. Dauerwelle war für ihn

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