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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
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Ballerina. «Aber dat is alles nix im Vergleich zu dammals, als wir nachem Kriech zurück in unsere Stuben durften.»
    «Jetzt fang nich schon widda mit diese Kriegsgeschichten an», weist Lisbeth ihn zurecht. Sie hat sich mit einer Hand auf der Arbeitsplatte der Küche aufgestützt. «Dat wollen die jungen Leute doch nich hören.»
    «Wat denn? Kann man doch erzählen!», fährt Schmidtchen unbeirrt fort. «Dammals war nich ein Stein mehr auffem andern. Dat Fenster inne Küche war mit einem Mal doppelt so groß wie bevor die Bombenangriffe. Und ’n Klo gab et auch nich. Für unsere Notdurft mussten wa innen Hoff – bei Wind und Wetter.»
    «Danke jedenfalls für die Erbsensuppe», sage ich, zu Lisbeth gewandt. «Das ist wirklich sehr nett von Ihnen.»
    «Die Suppe hat schon Stan Libuda gegessen», sagt Schmidtchen und deutet mit krummem Zeigefinger auf den Topf, damit auch kein Zweifel besteht, von welcher die Rede ist. «Beim Pokalsieg 66 hat unser Lisbeth ers gekocht und dann ausgeschenkt, und der Stan hat den größten Schlach genommen. Hat zugelangt wie ein Stahlarbeiter.»
    «Rudi meint, dass ich seit Jahren dasselbe Rezept habe», sagt sie. «Ist noch von meiner Großmutter. Die Suppe, die dadrin is, is abba frisch. Gestern gekocht.»
    «Kennze den noch, Stan Libuda?», fragt Schmidtchen.
    Ich schüttele den Kopf.
    « 68 isser nach Schalke zurückgegangen.»
    Mir ist nicht ganz klar, was er mir damit sagen will, aber ich schaue vorsichtshalber ein bisschen betroffen.
    «Na ja, sei’s drum. War trotzdem einer von den Guten.» Schmidtchen geht auf den Balkon. Er hat einen Schritt wie John Wayne, nachdem er vom Pferd gestiegen ist. Breitbeinig watschelt er ins Freie, stützt sich mit gestreckten Armen auf der Brüstung auf, streckt seinen Hintern aus und blickt hinunter auf die Straße.
    Meine Mutter kommt aus dem Schlafzimmer, wo sie gerade reinemacht und mein Vater Gardinenstange und Deckenleuchte montiert. Sie hält eine Flasche mit Spülmittel hoch und fragt: «Ist das alles, was du zum Putzen dahast?» Etwas überrascht blickt sie auf Schmidtchen und Lisbeth: «Guten Tag.»
    Lisbeth und sie schütteln sich die Hand. Schmidtchen stellt sich in die Balkontür und sagt: «Sie sind also die Frau Schwester von unserer neuen Nachbarin.»
    Meine Mutter zieht leicht verschämt die Schultern hoch und lächelt. «Nein, nein», sagt sie. «Ich bin die Mutter.»
    «Küss die Hand», sagt Schmidtchen, watschelt auf sie zu und tut es tatsächlich.
    Mutter blickt mich verstört an und hält wieder das Spülmittel hoch. «Was ist jetzt? Hast du noch was anderes zum Putzen? Neutralseife? Essigreiniger? Fensterreiniger? Womit soll ich eigentlich die Böden wischen?»
    «Ich habe noch Allzweckreiniger», sage ich.
    «Und fürs Bad?», fragt Mutter.
    «Da habe ich so pfff-pfff.»
    «Also keinen Essig?»
    «Keinen Essig.»
    «Und womit willst du den ganzen Dreck hier wegkriegen?»
    «Mit dem Allzweckreiniger?»
    Mutter atmet schnaufend aus und schweigt kurz bedeutungsvoll. Dann sagt sie – mit einem Tonfall, in dem die Resignation von über 30 Jahren vergeblicher Erziehung mitschwingt: «Wenn du meinst.»
    «Soll ich noch was kaufen gehen?», frage ich gereizt.
    Schmidtchen und Lisbeth spüren die negativen Schwingungen und machen sich auf den Weg zur Haustür. «Wir wollen dann auch nich länger stören», sagt Lisbeth und schiebt ihren Rudi vor sich her zur Wohnungstür. «Einen schönen Nachmittach noch, wonnich.»
    «Bis die Tage dann!», ruft Schmidtchen, den Lisbeth schon in den Hausflur geschubst hat.
    «Sinnvoll wäre das», knüpft Mutter an die Putzmitteldebatte an und schweigt wieder kurz, um ihrer Aussage mehr Nachdruck zu verleihen. «Soll ich dir Geld geben?»
    «Geht schon, lass mal», sage ich.
    «Bring auch ein Bier mit!», ruft mein Vater aus dem Schlafzimmer, wo er auf der Leiter steht und an einer Lüsterklemme schraubt.
    Ich nehme Portemonnaie und Leinenbeutel und gehe zum Netto. In einer Gemeinschaft mit einer Apotheke, einem Bäcker und einem Lottogeschäft steht er: ein ehemals weißer, nun grauer Flachbau mit Plakatwand an der fensterlosen Seite und einem schmiedeeisernen Ring neben der Eingangstür, an dem ein struppiger Mischling angebunden ist, der mit hochgezogenen Brauen die Kundschaft beäugt. Der Laden erinnert mich sofort an den Spar-Markt meiner Kindheit: Er ist klein, hat nur zwei Kassen, und man kann vom Eingang aus bis hinten zum Wurstregal sehen.
    Im ersten Gang, neben dem Gemüse, steht

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