Da gewöhnze dich dran
Nervenstörung.
Aus dem Dunkel der Wohnung höre ich die Stimme einer Frau: «Wat machße? Bisse am flörtn?» Eine stämmige, leicht gebeugte Oma tritt neben ihn in den Fensterrahmen. «Müssen Se ihm nich übelnehmen», sagt sie zu mir gewandt. «Dat hatta schon als junger Mann nich lassen können. Und Sie wissen ja: Je oller, je doller.»
«Abba gegessen hab ich imma zu Hause.»
«Wenn du et sachst! Ich kann’s nich nachprüfen», entgegnet ihm die Frau, lehnt sich dann an ihm vorbei und streckt mir ihre Hand hinunter auf die Straße. «Schmidtchen», sagt sie, «Lisbeth. Und dat is mein Mann Rudolf.»
Ich nehme die Hand und schüttele sie leicht. «Nessy», sage ich. «Ich wohne demnächst im Dachgeschoss.»
«Ach, beim Wolfgang! Dat freut mich für ihn. So ’ne nette neue Mieterin. Der Werner, der vorher dadrin gewohnt hat, is ja dammals bei Nacht und Nebel verschwunden und hat keine Miete mehr gezahlt. Keiner weiß, wo der getz is. Aber so ganz koscher war der sowieso nie gewesen.»
«Ein paar Wochen später sind seine Tochter und ihr Freund gekommen», ergänzt Schmidtchen, «und haben die Wohnung leer gemacht. Sonst hätte der Wolfgang dat allet bezahlen müssen. Weiß man ja, wat so ’ne Entrümpelung heutzutage kostet. Selbst wenn einer unter de Hand kommt.»
Nein, weiß ich nicht. Ob es gut oder schlecht ist, demnächst so aufmerksame und interessierte Nachbarn zu haben? Einerseits liest man ja immer, dass Leute in ihrer Wohnung sterben und erst Wochen später gefunden werden, wenn sie schon unangenehm riechen. Das wird mir mit dem Ehepaar Schmidtchen unter Garantie nicht passieren. Andererseits …
«Kommst aber nich von hier, odda?», unterbricht Schmidtchen meine Gedanken.
«Aus dem Sauerland», sage ich.
«Sauerland», wiederholt er gedehnt, nickt anerkennend und schiebt dabei seine faltige Unterlippe leicht vor. «Kenn ich. Da war ’n wa auch schomma, ne, Lisbeth? Dammals mit der Busgesellschaft nach Marsberch in dat Sporthotel. Über Pfingsten. Wo der Wolfgang so die Lampe anhatte. Da warn wa noch jung und fidel.»
«Der Wolfgang», mischt sich Lisbeth ein, «dem war da grade die Frau gestorben. Hat er Ihnen dat erzählt? Dat seine Frau an Kräbbs gestorben is?»
«Nein», antworte ich, «hat er nicht erzählt.»
«Tragisch», sagt Schmidtchen. «Kaum war er in Rente, da hamse dat festgestellt. Aber da waret schon zu spät. Da war der Kräbbs schon überall. Sechs Wochen hat dat nur gedauert, da warse tot. Dabei hatten die beiden gerade beschlossen, die Wohnung hier zu verkaufen und sich wat Schönes aufe Kanaren zu leisten, fürs Alter. Die beiden sind doch immer so gerne nach Teneriffa gefahren.»
Ich denke an Herrn Böhm, wie er schnaufend neben mir in der Wohnung steht, in Cordhose und mit ungebügeltem Hemd.
Lisbeth ergänzt: «Eigentlich hat er die Wohnung ja für seine Tochter gekauft.»
Lass sie bitte nicht auch tot sein.
«Aber die», fährt Lisbeth fort, «is inne Usa gezogen.» Sie sagt nicht U-S-A, sie spricht das Wort in einem durch. «Die hat wat mit Biologie studiert, und als sie dammals für ein Jahr da in Michigan war, hatse sich verliebt, und getz wohntse da. Höchstens zweimal im Jahr sieht der Wolfgang die. Dat is auch so ’ne Sache. Da kommt er nich drüber wech. Deshalb hat er Ihnen bestimmt auch die Wohnung gegeben. Seine Tochter is nämlich auch so groß und blond.»
«Abba keine Angst», sagt Schmidtchen. «Der steht getz nich jeden Sonntachmorgen bei dir auffe Matte, der Wolfgang.»
«Halten wir Sie eigentlich auf?», fragt mich Lisbeth. «Sie müssen doch bestimmt noch woandershin.»
«Ach watt», widerspricht Schmidtchen. «Is doch Samstach. Watt sollse groß zu tun haben?»
«Schon okay», sage ich. «Ich wollte mich nur noch ein bisschen in der Gegend umsehen und mir ein Bild von der Nachbarschaft machen.»
Schmidtchen nickt. «Hier hasse allet, wat de brauchs. Apotheke, Netto, und dat Büdchen is auch gleich nebenran.» Er deutet mit seinem rechten Arm die Straße runter.
«Und wenn Sie weiter die Straße runtergehen», ergänzt Lisbeth, «gibt es auch ein kleines Stadtzentrum. Da kriegen Sie alles, was Sie brauchen.» Sie macht eine Pause und lächelt verschämt. «Nun ja,
wir
bekommen alles, was wir brauchen. Wir sind ja alt. Sie als junger Mensch haben bestimmt andere Ansprüche.»
Ich betone, dass ich keine großen Ansprüche habe, und sage, dass mir ein Bäcker, ein Supermarkt und ein paar Geschäfte genügen.
«Dat ham wa hier
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