Da haben wir den Glueckssalat
zusammen, und mein Gesicht fängt an zu kribbeln, und plötzlich weiß ich ganz genau, was in den nächsten drei Sekunden passieren wird.
Ich muss mich gleich übergeben.
Ich drücke sämtliche Knöpfe, und der Aufzug hält mit einem Ruck im vierten Stock. Ich stürze hinaus und halte verzweifelt nach einem WC -Schild Ausschau. Wo sind die Toiletten? O verdammter Mist, ich werde mich gleich übergeben, ich weiß es, ich weiß es…
Einen Sekundenbruchteil später lasse ich mich auf die Knie fallen und erbreche mich in einen leeren Schirmständer am Eingang eines Büroflurs. Es ist ein säuerlicher, wässriger Schwall, den ich nicht kontrollieren kann, und als alles heraus ist, wische ich mir mit dem Ärmel meiner Jacke den Mund ab und lehne die Stirn an die Wand. Erleichtert atme ich auf.
Angstkotzen nennt man das, nicht? Wenigstens war es keine ausgereifte Panikattacke. Ich hatte schon seit ein paar Jahren keine mehr, nicht einmal eine halbe, seit… Richtig, ihr ahnt es bereits, seit jenem 26. August.
Ich werfe einen Blick zurück auf meinen Kotzeimer. Ich kann ihn nicht so stehen lassen, sonst muss ihn irgendwer saubermachen. Und das ist ekelhaft.
Fünf Minuten später marschiere ich so selbstsicher wie möglich hinaus auf den Broadway, einen geklauten Schirmständer mit Erbrochenem unter dem Arm.
Wieder so ein unglaublich erfolgreiches Vorstellungsgespräch. Ein Hoch auf mich. Gut gemacht!
Wie immer, wenn ich in Manhattan bin, schaue ich unwillkürlich an den Wolkenkratzern hoch. Habe ich schon erwähnt, dass ich große Städte liebe, und New York am meisten?
Wirklich. Ich liebe die Menschen, den Verkehr, den Lärm, die Kneipen und Restaurants, dieses fast unbeschreibliche, vielbeschworene Pulsieren… Ich liebe es zu wissen, dass hier immer was los ist, an jeder Ecke. Ich bin in New York geboren, aber wir sind weggezogen, als ich vier war. Darum hatte ich nie die Chance, mir die Stadt zu eigen zu machen so wie die Menschen, die hier aufgewachsen sind. Ich bin an keinem Ort wirklich heimisch geworden, ich gehöre nirgendwohin.
Ich gehe den Broadway entlang und beobachte die Menschen, die an mir vorübereilen, mit ihren coolen Gesichtern und beschäftigten Mienen. Warum machen alle anderen so einen gelassenen Eindruck? Was unterscheidet sie so sehr von mir? Alles, was ich spüre, ist Panik, ein Flattern in der Brust bei dem Gedanken, dass ich vielleicht nicht zu dem fähig bin, was allen anderen offenbar so leichtfällt…
Vielleicht sollte ich mir erst einmal überlegen, wie ich mir mein Leben überhaupt vorstelle, denke ich und entsorge den gestohlenen Schirmständer mitsamt seinem Inhalt in einem Mülleimer. Positives Denken, richtig?
Ich möchte hart arbeiten und in meinem Beruf aufgehen, möchte richtig gut darin sein. Wirklich. Ich möchte mein eigenes Geld verdienen. Ich möchte ein eigenes Zuhause haben (begehbarer Kleiderschrank ist ein Muss!), das mir keiner wegnehmen kann, und ich möchte meine Freundinnen für immer behalten. Oh, und ich möchte tolle Männer kennenlernen und eines Tages heiraten und Kinder bekommen und so weiter und so fort.
Wie komme ich denn jetzt darauf? Ich bin arbeitslos, mittellos und vollgekotzt.
Ich wünschte, ich könnte mal eben schnell vorspulen.
Mit einem schweren Seufzen mache ich mich zu Fuß auf den Weg zurück nach Brooklyn. Ein Taxi kann ich mir nicht leisten, und für die U-Bahn ist es zu heiß. Schon nach der Canal Street habe ich die ersten Blasen an den Füßen, also kaufe ich mir ein Paar Flipflops für drei Dollar und binde meine hochhackigen Sandalen an den Henkel meiner Handtasche. Nun habe ich noch genau fünf Dollar übrig. Was kriege ich für fünf Dollar? Das war’s. Es ist vorbei.
Als mein Magen zu knurren beginnt, kaufe ich einen griechischen Joghurt und einen Proteinriegel. Sinnlos, Cookies zu kaufen. Ein Zuckerschock würde meinen Tag nicht besser machen.
Kein Geld. Ich sollte einfach meine Eltern anrufen und ihnen sagen, dass ich sofort zurückkomme.
Als ich an dem Kriegsdenkmal in Brooklyn vorbeikomme, sehe ich auf der anderen Straßenseite eine alte, obdachlose Frau. Trotz der Hitze trägt sie mehrere Kleiderschichten übereinander, um ihre Füße sind Kartons gebunden. Ich wette, sie hat ganz schlimme Blasen an den Füßen, denke ich, während ich sie beobachte. Vielleicht sollte ich ihr meine Flipflops schenken. Ich bin fast zu Hause– warum nicht den restlichen Weg barfuß gehen?
Unsere Blicke treffen sich, und ich schenke
Weitere Kostenlose Bücher