Da haben wir den Glueckssalat
Zumindest rede ich mir das ein.
» Äh…«
» Was kann ich Ihnen anbieten, hübsches Kind?«
Das hier ist ähnlich, als wäre man eingeladen und würde das Essen ausschlagen, das der Gastgeber extra für einen zubereitet hat. Aber ich habe nur noch ein paar Cent.
» Äh… nichts, ich bin…«
» Sind Sie eine Freundin von Vic?«
» Ja«, sage ich, im selben Moment wie Vic » Nachbarin« sagt.
» Dann können Sie sich glücklich schätzen. Vic wird auf Sie aufpassen. Hier, bitte sehr, Engelchen. Geht aufs Haus.«
Kurz darauf verlassen wir die Metzgerei, ich mit einem Reisbällchen in der Größe eines Baseballs in der Hand.
» Toller Laden«, sage ich und probiere einen Bissen. » O mein Gott, das ist superlecker!«
» Das sind die besten. Wenn Sie also wirklich Arbeit suchen, mein Neffe hat ein Restaurant, gleich drüben auf der Smith Street, das Bartolo’s. Mein Bruder hat es vor über fünfzig Jahren eröffnet.«
» Wirklich?«, sage ich, und meine Miene hellt sich auf.
» Mein Neffe sucht immer Personal. Das Bartolo’s ist ein alteingesessenes Lokal im Viertel. Die Gäste geben gutes Trinkgeld. Wenn Sie mich dorthin begleiten, kann ich Sie gleich dem Chef vorstellen«, erklärt er.
» Wow, herzlichen Dank!«
Kellnern! Ich könnte kellnern gehen! Meine Vorbehalte gegen körperliche Arbeit kommen mir plötzlich ziemlich albern vor.
» Sie werden kein Vermögen verdienen, aber es ist immer noch besser, als nur herumzusitzen und über das Leben zu jammern. Vorausgesetzt, Sie scheuen sich nicht vor ein bisschen harter Arbeit.«
» Nein, ich meine, ja, ich weiß, ich meine… danke. Ich scheue mich nicht vor harter Arbeit! Das wäre großartig!«
Wir schlendern langsam die Union Street entlang, vorbei an unserem Nest in Richtung Smith Street, und genießen den lauen Abend.
» Und, haben Sie sich schon eingelebt?«
» Äh… ja.«
Ich bin mir nicht sicher, was er meint. Ich habe mich bisher nirgendwo eingelebt– ich habe einfach eine Weile an einem Ort übernachtet, bis sich das Leben änderte und ich woanders übernachten musste. Aber dieses Mal nicht. Hoffe ich.
Ich blicke an den Sandsteinfassaden hoch, an denen wir vorbeigehen, hoch zu den Bäumen, die sich über unseren Köpfen in den blauen Himmel recken. Häuser, Eingangstreppen, Fenster sind einander ähnlich und doch einzigartig, durch kleine individuelle Feinheiten der ehemaligen und gegenwärtigen Bewohner… Es ist, als hätte jeder, der hier gelebt hat, seinen Abdruck hinterlassen.
» Die Union Street ist wirklich schön«, sage ich nachdenklich. » Sie hat so was Persönliches, im Gegensatz zu den meisten anderen Straßen. Jedes Haus wirkt wie ein Zuhause.«
Vic nickt. » Die Straße hat Charakter. Darum bin ich nie von hier weggegangen, selbst damals nicht, als das Viertel noch richtig verrufen war. Ich kann Ihnen sagen… Meine Eltern waren italienische Einwanderer aus einer kleinen Stadt namens Pazzollo. Viele Menschen aus Pazzollo sind nach New York ausgewandert. Die haben hier sogar eine Straße nach uns benannt.«
» Wirklich? Ihre Eltern sind den ganzen Weg von Italien gekommen?« Wir biegen ab und schlendern auf der Smith Street weiter. » Direkt hierher nach Carroll Gardens?«
Vic verzieht das Gesicht. » Nicht Carroll Gardens. Das hier ist South Brooklyn. Das war schon immer South Brooklyn. Und nicht Carroll Gardens oder Cobble Hill oder BoCoCa.«
» Ja, Sir.«
» Meine Mutter und mein Vater kamen 1927 auf Ellis Island an. Da waren sie erst einundzwanzig. Die Überfahrt war ihre Hochzeitsreise… Sie wohnten in den ersten paar Monaten in der Lower East Side, schafften aber ziemlich schnell den Absprung. Irgendwann kaufte mein Vater das Haus, in dem wir jetzt wohnen, zusammen mit seinem Bruder. Zwei Familien, jede mit fünf Kindern, können Sie sich das vorstellen? In diesem Haus?«
» Wahnsinn. Und was ist dann passiert?«
» Nun, mein Vater wurde 1944 in Frankreich getötet.«
» Oh, das tut mir sehr leid…«, sage ich rasch.
» Schon gut, das war vor langer Zeit.« Vic schenkt mir wieder sein witziges Grinsen. » Sein Bruder ist nach Jersey gezogen. Und meine Mutter und ihre Schwester haben das Haus in eine Pension umgewandelt. Wir haben Untermieter aufgenommen, hauptsächlich Kriegsinvaliden.«
» Das ist unglaublich.«
Ich frage mich, wer schon alles in meinem Zimmer gewohnt hat. Es ist merkwürdig, sich vorzustellen, dass Menschen nach New York kamen, um dort ihr Leben zu beginnen, genau wie wir. Es ist,
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