Da muss man durch
noch, außerdem bemerke
ich zwei überzählige Gedecke, vermutlich sind sie für Iris und Timothy bestimmt.
«Oh, bin ich zu spät?», scherze ich.
«Ja, aber das macht überhaupt nichts», erwidert Konstantin freundlich und bedeutet mir, dass der freie Platz zwischen Melissa
und Alphons für mich bestimmt ist. «Wir warten sowieso noch auf Mutter.»
Während ich mich setze, schaue ich unauffällig auf meine Uhr. Ich habe mich tatsächlich verspätet – um ungefähr eine knappe
Minute. Das war durchaus beabsichtigt, weil ich nicht wie ein ausgehungerter Pauschaltourist zu früh bei Tisch erscheinen
wollte. Dass man im Hause von Beuten offenbar eine Form der Pünktlichkeit pflegt, an der sich so manche Atomuhr ein Beispiel
nehmen könnte, hatte ich nicht einkalkuliert. Der kleine Fauxpas spielt aber sowieso keine Rolle, weil sich die Anwesenden
mehr für mein Äußeres interessieren als für die Tatsache, dass ich ein paar Sekunden zu spät bei Tisch erschienen bin.
Konstantin und Karl tragen Anzug und Krawatte, Melissa ist in ein zitronengelbes Kostüm gehüllt. Selbst Audrey hat Jeans
und Tanktop gegen ein dezentes schwarzes Kleid eingetauscht, und der kleine Alphons trägt ein Tweedsakko |40| mit Einstecktuch. Seine Krawatte harmoniert obendrein farblich mit dem Kopfverband, den er seit seinem Sturz am Mittag trägt.
Mit Jeans und Hemd sehe ich inmitten dieser illustren Runde wie der Poolreiniger beim alljährlichen Adventsessen aus.
Gerade überlege ich, ob ich mich kurzerhand für ein paar Minuten entschuldigen soll, um mich doch noch rasch in Schale zu
werfen, da kommt Elisabeth durch eine weit geöffnete Flügeltür auf die Terrasse gerauscht. Sie wird begleitet von ihrem cremefarbenen
Saluki und trägt ein zum Hund passendes helles Ballkleid mit einer roten Stola.
Instinktiv will ich mich erheben, doch Elisabeth winkt ab. «Bitte behalten Sie Platz, lieber Herr Dr. Schuberth. Wir sind doch heute ganz leger.» Während sie das sagt, lässt sie ihre Stola auf die Rückenlehne eines Thronsessels
gleiten, den ihr im nächsten Moment der beflissene Konstantin unter den mit Tüll gepolsterten Hintern schiebt.
Ich nicke Elisabeth lächelnd zu. Dabei sehe ich, dass sie meinen Aufzug mit einem Anflug von Verachtung zur Kenntnis nimmt.
«Timothy und Iris wollten die letzte Maschine nehmen. Wenn alles klappt, sind die beiden in einer knappen Stunde hier»,
erklärt Konstantin und macht seinem Job als Familienbuchhalter alle Ehre. «Ich dachte, wir lassen uns ein bisschen Zeit mit
den Aperitifs und der Vorspeise. Dann schaffen die beiden es noch zum Hauptgang.»
«Gute Idee», wirft der alte von Beuten ein. «Was wollen wir denn trinken?»
Wie auf Kommando fährt das spanische Hausmädchen einen vor Alkoholika berstenden Servierwagen auf die Terrasse.
«Was darf ich Ihnen anbieten, Paul?», fragt der alte von |41| Beuten und erhebt sich geschäftig. «Sekt? Sherry? Oder vielleicht einen Campari?»
«Wir haben auch Bier», wirft Elisabeth ungerührt ein. Die Anspielung gilt eindeutig meiner sozial schwachen Garderobe. Ich
merke es daran, dass es am Tisch abrupt still wird.
«Haben Sie denn auch Dosenbier?», frage ich ebenso ungerührt, sehe aus den Augenwinkeln ein Lächeln über Audreys Gesicht
huschen und halte derweil Elisabeths Blick stand.
Karl ist sich offenbar nicht ganz sicher, ob meine Bemerkung als Witz gedacht sein sollte, und bemüht sich, sie zu überspielen:
«Sie dürfen mich auch gerne herausfordern, Paul. Ich habe als Barkeeper gearbeitet, um mir meine Schauspielausbildung zu
finanzieren. Meine Spezialität war der Singapore Sling.»
Ich mag nur sehr wenige Cocktails, weil ich finde, dass die meisten schmecken, als hätte man die Reste einer Party zusammengeschüttet,
möchte aber Karl nicht an seiner Lieblingsbeschäftigung hindern und bestelle deshalb einen Bellini.
Elisabeth von Beuten nimmt es mit einem fast unmerklichen Kopfnicken zur Kenntnis, dann sagt sie in entspanntem Tonfall:
«Den hätte ich auch gerne, Karl», und während ich ein leichtes Aufatmen bei Konstantin zu bemerken glaube, schließen sich
uns Melissa und Audrey an. Der junge von Beuten möchte einen alkoholfreien Drink, der alte von Beuten wird wenig später den
so gesparten Schnaps für einen Horse’s Neck verwenden, der fast ohne Ginger Ale auskommt. Im Prinzip ist es purer Brandy,
garniert mit einer Zitronenschale.
Derweil wir an unseren Drinks nippen, plaudern
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