Dark Future: Herz aus Eis
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1 . KAPITEL
D ie Luft war abgestanden und roch widerlich nach Rauch, Schweiß und altem Bier.
Bob’s Truck Stop.
Netter Ort für ein gemütliches Essen.
Raina Bowen saß an einem kleinen Tisch, mit dem Rücken zur Wand, die Haltung trügerisch locker. Innerlich stand sie unter größerer Spannung als die Federn der
Merckle
-Stoßdämpfer ihres Sattelzugs, aber es war klüger, gelassen zu erscheinen.
Lass sie niemals deine Angst spüren.
Das war einer von Sams unzähligen Leitsprüchen gewesen.
Sie blickte sich in dem überfüllten Raum um und erfasste die sibirischen Gun Trucker am Tresen – Männer, die für Geld alles, jedoch vor allem Waffen transportierten –, den ausgemergelten Kerl in der Ecke, der aussah wie ein Zuhälter, seinen Kumpel mit dem Frettchengesicht und die gehetzt wirkende Kellnerin, die geschickt der forschenden Hand auswich, mit der ein Gast sie packen wollte, als sie an ihm vorbeieilte. In der Mitte des Raumes befand sich ein kleines Podest mit einer Metallstange, die bis zur rußverschmierten Decke reichte. Ein leichtbekleidetes Mädchen, das die Pubertät gerade erst hinter sich gelassen hatte, wackelte mit den Hüften und tanzte um die Stange. Raina wandte den Blick ab. Ohne diese eine verzweifelte Tat, die ihr die Freiheit gebracht hatte, hätte sie dieses Mädchen sein können.
Träge drehte sie das Glas mit warmem Bier, mit dem sie schon seit einer Stunde beschäftigt war, in der Hand und sah aus den schmutzigen Fenstern, die auf die Vorderseite des Truck Stops hinausgingen. Gefroren und farblos erstreckte sich dort, so weit der Schein der starken Flutlichter reichte, in endloser Monotonie die öde Weite. Außerhalb des Lichts verschluckte das Dunkel des schwarzen Nachthimmels die karge Landschaft.
Milde minus dreißig Grad herrschten draußen. Und es würde noch kälter werden, je weiter sie nach Norden kamen. Raina hasste die Kälte leidenschaftlich, doch wenn sie die Erste war, die mit ihrer Ladung gentechnisch veränderten Getreides die Station in Gladow erreichte, würde sie einen fetten Bonus von fünfzig Millionen Interdollar erhalten. Das wäre mehr als genug, um ihr durchgefrorenes Herz zu erfreuen und sie für alles zu entschädigen.
Mehr als genug, um Beths Sicherheit zu gewährleisten.
Raina hielt den Blick auf die Tür gerichtet und wünschte sich, dass sie endlich aufging. Sie konnte nicht mehr viel länger warten. Wo zur Hölle blieb Wizard? Hier herumzusitzen – als Frau, ganz allein an einem Ort wie diesem – erregte zu viel Aufmerksamkeit. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sich an ihr Gesicht erinnerte. Anonymität war ein wertvolles Gut. Ein Gut, das ihr gerade zu entgleiten drohte, wie sie feststellen musste. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie einer der betrunkenen sibirischen Trucker durch den Raum auf sie zutorkelte.
»Hallo, du süßes Ding.« Er blieb direkt vor ihr stehen, beförderte mit einem Fußtritt den freien Stuhl unter dem Tisch hervor und schob ihn näher zu ihr heran, ehe er seinen massigen Körper auf die mit eingerissenem Kunstleder bezogene Sitzfläche sinken ließ. Er war in Lagen von zerlumptem Stoff gehüllt, der schmutzig und ausgefranst war. Sein Gestank erreichte ihre Nase, noch bevor er seine Begrüßung zu Ende ausgesprochen hatte.
»Verschwinde. Sofort.« Raina sprach mit ruhiger, leiser Stimme, während sie unauffällig die Hand in ihr Kreuz schob und den glatten Griff des Messers umschloss, das dort befestigt war.
Der Sibirier grinste sie an, wobei er die braunen Stummel von drei verfaulten Zähnen entblößte. »So leicht wirst du mich nicht los. Ich habe dich beobachtet.« Er deutete auf seinen Schritt. »Du brauchst einen Mann, süßes Ding.«
Aha.
»Und du glaubst, dass du einer bist?«
Der Trucker runzelte bei ihrer Frage die Stirn; als er endlich begriff, dass er beleidigt worden war, zog er seine buschigen Augenbrauen hoch. Unbeirrt beugte er sich vor und ergriff mit einer vernarbten, dreckigen Hand ihren Pferdeschwanz. »Ich werde dir zeigen, wie viel Mann ich bin. Gib uns einen Kuss, süßes Ding.«
Seine Zunge war schon forschend herausgestreckt, als er ihr Gesicht zu sich heranzog.
»Letzte Warnung«, sagte Raina leise und wünschte sich, er würde auf sie hören.
Er zog einmal fest an ihrem Zopf. Raina löste ihr Messer aus seiner Scheide, riss es mit einer schnellen Drehung hoch und durchtrennte geschickt die Zungenspitze des Truckers. Dickflüssig und heiß spritzte Blut in alle
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