Da Vincis Fälle Doppelband 1 und 2 (German Edition)
ist.“
Wenig später verabschiedete sich Ser Piero. Er wollte noch im Gasthaus essen.
Leonardo hingegen aß bei seinem Großvater.
Er wartete bis es dunkel war und ruhig im Dorf wurde. Im Gasthaus war bestimmt nicht viel los, denn man hätte sonst den Lärm bis zum Haus von Leonardos Großvater hören können. Leonardo musste aber auf jeden Fall warten, bis sein Großvater zu Bett ging. Erst danach schlich er sich mit seinem Spiegelbogen in der Hand ins Freie.
Es war schon nach Mitternacht - eine mondhelle, sternenklare Sommernacht. Die Haustür hatte etwas geknarrt, aber glücklicherweise hatte Großvater einen tiefen, gesunden Schlaf und wachte nicht so leicht auf.
Leonardo ging über den Dorfplatz, dann an der Kirche vorbei und erreichte schließlich das Gasthaus. Nirgends brannte noch Licht. Als er dann das Gasthaus umrundete, um zum Hintereingang zu gelangen, sah er, dass die Kammer des Portugiesen die einzige Ausnahme war. Das Fenster stand offen. Er hatte einen Kerzenleuchter direkt auf die Fensterbank gestellt – offenbar um die zahllosen Motten, Mücken und anderes fliegendes Getier abzulenken, die immer dem Licht folgten.
Leonardo erreichte die Hintertür des Gasthauses und wartete darauf, dass Gianna ihm öffnete.
Aber das Mädchen ließ auf sich warten.
Eine ganze Weile stand er ungeduldig da und hoffte, dass Gianna nicht irgendetwas dazwischen gekommen war, was den gesamten Plan für heute zunichte machte.
Doch dann öffnete sich die Hintertür des Gasthauses doch noch einen Spaltbreit. Es knarrte etwas. Die Scharniere könnten dringend etwas Öl vertragen!, dachte er. Aber eigentlich war die Tür ja auch nicht dafür geschaffen, dass sich jemand heimlich ins Haus schleichen konnte.
Leonardo stand einige Augenblicke wie erstarrt da und wartete ab, wer schließlich ins Freie trat. Zunächst sah er nur einen Schatten. Einen dunklen Umriss, bei dem er nicht erkennen konnte, um wen es sich handelte. Die Größe kam hin – aber Gianna hatte ihre Mutter inzwischen beinahe eingeholt, sodass Leonardo nicht sicher sein konnte, wen er vor sich hatte.
„Leonardo?“, wisperte eine Stimme.
Die schattenhafte Gestalt trat ins Mondlicht.
Erleichtert atmete er durch, als er sie erkannte.
„Gianna!“
„Komm schnell herein!“, flüsterte sie. „Die Luft ist rein. Und der Portugiese ist offenbar noch auf den Beinen! Ich habe durch sein Schlüsselloch gesehen.“
„Und? Irgendetwas erkannt?“
„Leider nicht. Er hat den Tisch so verschoben, dass man durch das Schlüsselloch leider nicht sehen kann, was er macht!“
Leonardo hob den Spiegelbogen etwas an. „Das wird sich jetzt gleich ändern!“, versprach er.
Gianna sah sich die Apparatur stirnrunzelnd an. „Das ist also das Gerät, das du erfunden hast…“
„So ist es.“
„Ich hoffe es funktioniert!“
„Klar funktioniert es! Ich habe es doch ausprobiert! Vielleicht verkaufe ich die Idee den Medici. Das ist die herrschende Familie in Florenz und mein Vater macht neuerdings Geschäfte mit denen. Ich könnte mir denken, dass die auch ab und zu mal jemanden ausspionieren möchten.“
„Eins nach dem anderen, Leonardo. Deine Träumereien kannst du dir für später aufheben! Komm jetzt!“
Leonardo folgte ihr ins Haus. Sie gingen durch einen Flur und durchquerten dann den Schankraum. Von dort führte die Treppe hinauf zu den Zimmern.
Es knarrte bei jeder Stufe etwas und Leonardo konnte nur hoffen, dass davon weder der Portugiese noch Giannas Eltern etwas mitbekamen. Schließlich hatten sie das Obergeschoss erreicht. Es war ziemlich dunkel hier, da dir meisten Fenster mit Fensterläden verschlossen waren und kaum Mondlicht hereinfiel. Leonardo folgte Gianna auf dem Fuß und schließlich hatten sie das Zimmer reicht, das neben der Kammer des Portugiesen lag.
„Ich habe dafür gesorgt, dass das Fenster offen bleibt“, sagte Gianna. „Die Läden hätten sonst vielleicht geknarrt und der Portugiese hätte Verdacht geschöpft!“
Ihre Stimme war kaum mehr als ein leises Wispern.
„Sehr gut!“, flüsterte Leonardo zurück.
Er ging zum Fenster und blickter hinaus. Ein Schwarm von Motten schwirrte um den Kronleuchter des Portugiesen herum. Manchmal verirrte sich eine davon auch ins Nachbarzimmer. Leonardo scheuchte sie mit ein paar Handbewegungen davon. Dann brachte er seinen Spiegelbogen zum Einsatz. Er setzte sich auf die Fensterbank, um sich weiter hinauslehnen zu können.
„Halt mich fest“, flüsterte er an Gianna gerichtet.
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