Da Vincis Fälle Doppelband 1 und 2 (German Edition)
Sie tat, was er sagte.
Leonardo blickte in die Tiefe. Wenn man hier hinunterfiel reichte das auf jeden Fall, um sich den Hals zu brechen. Außerdem sorgte dann der Lärm dafür, dass das ganze Haus auf ihn aufmerksam wurde.
Leonardo brachte seinen Spiegelbogen in Position. Er schob ihn bis zum Nachbarfenster vor und blickte dabei angestrengt auf den Spiegel an seiner Seite des Bogens. Es dauerte eine Weile, bis er die Spiegel so ausgerichtet hatte, dass er nicht die Decke oder den Fußboden im Nachbarraum erkennen konnte. Die Arme begannen schon zu schmerzen, zumal Leonardo sich etwas weiter hinauslehnen musste, als dies im Haus seines Großvaters der Fall gewesen war, wo er den Spiegelbogen ausprobiert hatte. Aber er hatte sich vorgenommen, auf jeden Fall durchzuhalten. Dann hatte er den Portugiesen plötzlich im Visier. Er saß an seinem Tisch, wo das beste Zeichenwerkzeug ausgebreitet war, das Leonardo je gesehen hatte! Neben verschiedenen Linealen gab es nicht nur Kohlestifte, sondern auch Bleistifte, mit denen man noch sehr viel feinere Linien ziehen konnte. Leonardos Vater hatte einmal von einem reisenden Händler aus Pisa, den er mit einer Eingabe vor dem Gefängnis bewahrt hatte, einen dieser neuartigen Bleistifte geschenkt bekommen und hatte ihn lange Zeit benutzt, um Notizen anzufertigen – bis er kurz und klein geschrieben worden war.
Was der Portugiese da zeichnete, konnte Leonardo natürlich nicht sehen. Aber er hatte zwei Blätter nebeneinander liegen. Immer wieder schaute er auf das rechte Blatt und begann danach auf dem Linken weiterzuarbeiten.
Schließlich konnte Leonardo es nicht mehr aushalten. Die Arme taten höllisch weh und er schaffte es gerade noch, den Spiegelbogen zurückzuziehen. Dabei kam er gegen den Kronleuchter auf der Fensterbank.
Der Leuchter fiel krachend ins Innere des Zimmers. Dumpf kam er auf dem Boden auf und Leonardo hörte den Portugiesen in seiner eigenen Sprache vor sich hinschimpfen.
Giannas Augen waren Schreckgeweitet.
Sie machte einen Schritt in Richtung der Zimmertür, aber Leonardo hielt sie zurück.
Er legte den Finger auf den Mund. Schweigen und sich absolut ruhig verhalten. Das war jetzt das Gebot der Stunde. In seiner Kammer hatte der Portugiese offenbar einige Schwierigkeiten, den Ausbruch eines Brandes zu verhindern. Man hörte es Rumpel und Poltern. Schließlich war er fertig. Als wieder Ruhe in der Nachbarkammer einkehrte, atmete Leonardo tief durch. „Das war knapp!“, meint er.
„Meinst du, er hat vielleicht Verdacht geschöpft?“, fragte Gianna,
„Nein, das glaube ich nicht“, erwiderte Leonardo leise. „Aber wir warten hier sicherheitshalber noch eine Weile ab. Wenn er jetzt auf dem Flur ein Knarren hört, könnte das kritisch werden…“
Leonardo setzte sich auf den Boden. Gianna ließ sich neben ihm nieder.
Sie warteten eine ganze Weile einfach ab.
„Was hast du gesehen?“, fragte sie.
„Ich weiß nicht…“, murmelte Leonardo.
„Das heißt, es war alles umsonst? Du hast überhaupt nichts erkennen können? Aber diesen komischen Spiegelbogen an die Medicis verkaufen wollen! Das ich nicht lache!“
Aber Leonardo schüttelte den Kopf. „Natürlich habe ich was gesehen. Mir ist nur noch nicht klar, was es bedeutet!“
„Verstehe ich nicht!“
„Wir reden morgen darüber. Komm einfach zu mir. Ich denke, Carlo wird auch auftauchen und dann beraten wir weiter.“
„Gut.“
„Und jetzt bring mich wieder hier raus!“
7.Kapitel
Kriegsrat
Am nächsten Tag hielten Leonardo, Gianna und Carlo in Leonardos Zimmer Kriegsrat.
„Er hatte zwei Blätter nebeneinander liegen“, berichtete Leonardo über seine Beobachtungen.
„Und was darauf zu sehen war, konntest du nicht erkennen?“, vergewisserte sich Carlo.
„Keine Hexenzeichen? Pentagramme? Magische Symbole?“, hakte Gianna nach. „Ich bin nicht sicher, dass so etwas auf diesen Blättern zu sehen war, als ich durch den Türspalt blickte.“
„Es müssen ja nicht tagelang dieselben Blätter auf dem Tisch gelegen haben“, gab Leonardo zu bedenken. „Also wenn ihr mich fragt, dann macht das alles nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass der irgendetwas kopiert. Er zeichnet oder schreibt etwas ab.“
„Was könnte das sein?“, fragte Gianna.
Leonardo zuckte mit den Schultern. „Irgendetwas, das wertvoll genug ist, damit ein Bote das Original aus Florenz hier her bringt und ein anderer Bote die Kopie in Richtung Pisa mitnimmt. Denn so muss es ja wohl
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