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Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Da vorne wartet die Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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seinen eiskalten Füßen zu ihr unter die Decke gekrochen kommt.

    Während die junge Frau über den Marktplatz spaziert, vorbei an dem alten Museum, und hier und da an einem Stand innehält, mit den Verkäufern plaudert, lacht und gestikuliert, erinnert sie sich an ihren letzten Urlaub in einer Stadt am Meer. Dort hatte sie sich in einem riesengroßen, mehrstöckigen und verschlungenen Buchladen verlaufen und war schließlich direkt aus der Fremdsprachenabteilung auf ein kleines Café mit Dachgarten gestoßen. Dieses Café hatte keine Wände, es war umrandet von Bücherregalen, und sogar neben der Kaffeemaschine, über dem Tresen, hinter der Kuchenvitrine und zwischen den Tellern und Tassen standen Bücher über Bücher, in allen Formen und Farben, bunt durcheinandergewürfelt. Sie hatte diesen Ort sofort geliebt. Er war ihr ans Herz gewachsen, noch bevor sie sich auf einem der hölzernen Stühle an einem der kleinen Tische niedergelassen und einen Espresso und ein Stück Nusstorte bestellt hatte. Von diesem Tag an war sie jeden Tag in dem Buchladen gewesen, hatte in dem Dachgartencafé ihre Nachmittage verbracht und jedes Mal zum Abschied ein Buch gekauft. Als sie schließlich nach einer Woche wieder zurück nach Hause zu ihrem Sohn und zu ihrem Mann gekehrt war, hatte sie sieben Bücher dabei und einen blauen Stoffelefanten. Ihr Sohn hatte sich voller Begeisterung auf den Elefanten gestürzt, und ihr Mann hatte währenddessen etwas verwirrt gefragt, ob sie denn ihre Zeit am Meer ausschließlich mit dem Kauf von Büchern verbracht hätte. Da hatte sie gelacht und ihm von dem abenteuerlichen Buchladen mit den Wendeltreppen, den winzigen Räumen, den großen Sälen und den langen Fluren erzählt – und natürlich auch von dem Café mit Dachgarten. Ihr Mann hatte sie geküsst, als sie ihm alles erzählt hatte, was in ihrer Erinnerung verfangen war. So innig wie schon lange nicht mehr.
    Ja. Es war ein schönes Nachhausekommen gewesen. Nach einer schönen Reise. Mit einem Koffer voll schöner Geschichten.

    Die junge Frau auf dem Markplatz. Ihr weißes Kleid flattert im Wind, ihre weißen Schuhe verursachen leise klickende Geräusche auf dem steinigen Boden. Sie erledigt ihre letzten Einkäufe, wirft einen Blick auf den ordentlich geschriebenen Zettel, den sie mitgenommen hat, um nicht wieder die Hälfte zu vergessen, so wie sie es oft tut, wenn ihre Gedanken sich in den Weiten des Rückblicks der Vergangenheit verlieren.
    Aber diesmal hat sie an alles gedacht, sogar die Süßkartoffeln hat sie bekommen.
    Die Frau streicht sich ein paar verirrte Strähnen aus ihrem hübschen Gesicht, dann winkt sie den Kindern auf dem Spielplatz zu, grüßt den fröhlich klingelnden Eismann mit seinem Wagen, und biegt kurz darauf in eine ruhigere Seitenstraße ab. Von hier führt ihr Weg weiter, an den vielen kleinen Geschäften vorbei, hinten um den Schlosspark herum, über die schiefe Flussbrücke, an dem verbogenen Einbahnstraßenschild vorbei und weiter in Richtung Waldrand.
    Sie lächelt vor sich hin.
    Die Sonne umspielt ihr Gesicht.
    Alles ist still und erfüllt von Geborgenheit.
    Bis auf einmal ein schwarzer Kleintransporter neben ihr hält, die Tür aufgerissen wird und zwei Männer sie in den Laderaum zerren. Sie versucht aufzuschreien, aber sofort presst sich eine Hand auf ihren Mund. Sie versucht sich zu wehren, aber schon wird eine Spritze in ihren Arm gestochen.
    Sie versucht zu entkommen.
    Aber es ist längst zu spät.
    Und das Letzte, was sie sieht, ist der Korb, der ihr aus den Händen fällt. Das Letzte, was sie erkennt, ist das Durcheinander von Obst und Gemüse, das über den Gehweg rollt, über die Bordsteinkante, bis hinunter auf die Straße.

    Die junge Frau in dem weißen Kleid mit den weißen Schuhen. Von nun an sieht sie nur noch Dunkelheit und gedämpftes Kellerlicht. Sie sieht die verlorenen Farben der Zeit, die vergessenen Mädchen der allgegenwärtigen Stille, die verkauften Frauen der Stadt am Waldrand und die Gewalt in den entblößten Gesichtern der Gewissenlosigkeit. Sie lernt die schwarzen Nächte kennen, die dunklen Schatten, die düstere Angst, das grauweiße Dahingleiten zwischen leeren Gedanken.
    Männer wälzen sich auf ihr herum.
    Zerren an ihren Brüsten.
    Bohren sich tief in ihren Verstand.

    Die junge Frau mit dem weißen Kleid und den weißen Schuhen. Mittlerweile ist sie nackt und barfuß. Aber es ist schon so lange her, dass sie entführt worden ist, dass sie längst vergessen hat, wie es

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