Dabei und doch nicht mittendrin
der Einführung eines islamischen Religionsunterrichts, den rund vier Millionen Muslimen eine im Artikel 3 des Grundgesetzes verankerte, aber bislang vorenthaltene Gleichbehandlung nunmehr gewährt wird. Diese Gleichbehandlung müsste, um ihre soziale Integration voranzubringen, sich auch in anderenwichtigen gesellschaftlichen Gremien und Institutionen niederschlagen, wie etwa im Rundfunkrat.
Unbestritten ist auch, dass den Gefahren einer stärkeren Segregation muslimischer Kinder vorgebeugt werden kann, wenn die religiöse Unterweisung in der Schule (und nicht in Hinterhofmoscheen) stattfindet sowie in deutscher Sprache erteilt wird. 90 Dadurch wird nicht nur eine stärkere Beheimatung des Islam in Deutschland, sondern auch eine deutlichere Transparenz der Lehrinhalte geschaffen. Zudem rückt eine angemessene Qualifizierung der Lehrkräfte in den Mittelpunkt.
Doch scheinen mir folgende Überlegungen gegen einen islamischen Religionsunterricht zu sprechen:
1. Für ein interkulturelles beziehungsweise multireligiöses Zusammenleben ist eigentlich jede Form – und nicht nur die islamische – eines bekenntnisorientierten religiösen Unterrichts problematisch: Denn die Gefahr der Bildung eines geschlossenen Überzeugungssystems, welches in der Folge kindliches Denken vereinfachen und möglicherweise Überlegenheitsansprüche der eigenen und Abwertungen anderer Ansichten schaffen könnte, ist nicht immer von der Hand zu weisen.
2. Extremformen solchen Unterrichts, die religiös begründete Denktabus und Dogmen errichten, können entwicklungspsychologisch eine verzerrte Welt- und Wirklichkeitswahrnehmung des Kindes bewirken: Kindliches Explorationsverhalten und Kreativität werden dadurch beeinträchtigt.
3. Darüber hinaus führt eine hohe Geschlossenheit zwar zu einer Sicherheit des eigenen Denkens und Empfindens, aber auch zu einem ausgesprochenen Konformitätsdruck innerhalb der Gruppe (der muslimischen Kinder): Bei intensiven Kontakten in der »In-group« werden Abweichungen weniger toleriert. Das kann dann die Entstehung eines auf starren Gegensätzen gründenden Weltbildes beim Kind, in Form von »wir-ihr«, »Freund-Feind«, »gläubig-ungläubig« begünstigen.
4. Religionsunterricht in der Schule kann bereits bestehende religiöse Erziehung im Elternhaus bestätigen und sogar bekräftigen, sodass dann mit Berufung auf ein religiöses Familienbild liberale oder areligiöse Formen des Aufwachsens als Bedrohung erlebt werden. 91
Der Frage, ob islamischer Religionsunterricht eher Integrations- oder weiteren Abschottungstendenzen muslimischer Schüler und Eltern Vorschub leistet, ist in einem von mir wissenschaftlich begleiteten Modellversuch in ausgewählten Grundschulen Niedersachsens von 2005 bis 2008 nachgegangen worden.
In den dritten und vierten Klassen, in denen stets rund 200 der teilnehmenden muslimischen Schüler standardisiert befragt wurden, bildete die Orientierung in Richtung Integration die stärkste Dimension, gefolgt von eher separationsorientierten Tendenzen. Das heißt, in ihrer Beziehungsgestaltung zu relevanten Aspekten der Mehrheitsgesellschaft möchten die Schülerinnen und Schüler in erster Linie sowohl Bezüge zu ihrer eigenen familialen Tradition als auch Bezüge zur Mehrheitsgesellschaft herstellen. Was Schüler dieser Jahrgänge jedoch auf jeden Fall ablehnten, war eine eindeutige Assimilationshaltung, also die Aufgabe der eigenkulturellen Bezüge und eine völlige Identifikation mit mehrheitskulturellen Aspekten. Aber auch die Haltung der Marginalisierung, eine skeptische Haltung zur eigenen Kultur wie zur Mehrheitskultur, war deutlich unbeliebt. Darüber hinaus ergab eine genauere Betrachtung Unterschiede im Hinblick auf individuelle gegenüber familialen Orientierungen: Die Schüler waren weniger geneigt, im Familiensystem ethnisch-kulturelle Durchdringungen und Mischungen zuzulassen als in der individuellen Lebensführung und Haltung. Die auf das Individuum bezogenen Aussagen wiesen deutlich stärkere Integrationsoffenheit auf als die familienbezogenen.
Aus integrationstheoretischer wie psychologischer Sicht sind bei den untersuchten muslimischen Schülern keineswegs antiintegrative Haltungen und Entwicklungen zu beobachtengewesen. Im Zuge des islamischen Religionsunterrichts ließ sich vielmehr eine leichte Reduzierung separationistischer Tendenzen feststellen.
Außerdem wurde das Verhältnis der Schüler zur eigenen wie zu der jeweils anderen Religion ermittelt. Auf die
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