Dackelblick
das Gewehr zu kommen, während sich der Mützenträger nach Kräften wehrt. Die beiden kugeln hin und her, so verkeilt ineinander, dass man kaum sagen kann, zu wem die jeweiligen Arme und Beine gehören. Dann gibt es plötzlich wieder einen lauten Knall - offensichtlich hat sich ein Schuss gelöst. Der Mann ohne Mütze rollt laut stöhnend zur Seite, der andere steht auf und schüttelt sich. Dann nimmt er das Gewehr, das mittlerweile auf dem Boden liegt, geht damit auf seinen Angreifer zu und - zielt!
Ich weiß sofort, was das bedeutet: ein Fangschuss. Die Mütze will den anderen Mann töten! Nein!, will ich laut rufen. Das ist doch ein Mensch und kein Kaninchen! Mir wird heiß und kalt. Und dann, ohne weiter zu überlegen, gehe ich aus der Deckung und springe den Mann mit der Mütze an. Es ist fast, als würde ich mich dabei selbst beobachten, so unwirklich ist das alles: Ich springe hoch und verbeiße mich im Hosenbein des Mannes, ehe er noch abdrücken kann. Der schwarze Stoff der Hose ist nicht besonders fest, ich spüre sofort, wie er reißt. Und dann hänge ich mit meinen Zähnen auch schon im Bein. Der Mann zuckt heftig zurück, brüllt vor Schmerz und reißt sein Bein hoch. Ich lasse los und falle vor ihn hin. Er zieht sich die Mütze vom Kopf und starrt mich böse an.
»Was zum Teufel soll das? Kann mir jemand erklären, wo dieser Hund auf einmal herkommt?«
Plötzlich laufen von überall her Menschen auf uns zu, das Kommando, auf dem Boden zu liegen, scheint aufgehoben. Aber die größte Überraschung: Der angeschossene Mann, der sich eben noch in Qualen auf dem Boden wand, hat sich auf einmal aufgesetzt und schaut mitfühlend zu seinem Peiniger auf.
»Scheiße, Jens, tut's weh?«
»Und ob!« Der von mir Gebissene schiebt sein Hosenbein hoch, auf seiner Wade ist ein wunderschöner Gebissabdruck von mir zu bewundern. »Helen! Ich glaube, ich brauche ein Coolpad oder so was.«
Eine junge Frau mit blonden Haaren kommt hinter einer der Säulen hervor und aus einer Gruppe von Leuten löst sich ein älterer Mann mit silbernen Locken, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem alten Eschersbach hat. Die junge Frau kniet sich vor den Mann namens Jens und betrachtet den Biss, der ältere Herr dreht sich zu den anderen Menschen um.
»So, raus mit der Sprache: Wer hat den Hund mit ans Set gebracht?«
Schweigen.
»Wer?«, wiederholt Silberlocke.
Ich würde am liebsten abhauen, denn mein Gefühl sagt mir, dass Silberlocke echt sauer ist und Carolin gleich ziemlichen Ärger bekommen wird. Warum, ist mir immer noch unklar, denn schließlich habe ich ein Verbrechen verhindert. Aber das scheint hier keinen zu interessieren - alle tun so, als ob es die normalste Sache der Welt wäre, ein Gewehr auf seine Mitmenschen zu richten. Aber bevor ich noch darüber nachdenken kann, ob ich mich irgendwie geschickt aus der Angelegenheit herauslavieren kann, höre ich schon Carolins Stimme: »Ich war das. Ich habe den Hund mitgebracht.«
Jetzt sehe ich sie endlich, sie steht auch neben einer der Säulen auf der linken Seite.
»Es tut mir leid, ich habe nicht gemerkt, dass Herkules weggelaufen ist. Ich dachte, er steht immer noch neben mir und ...«
Sie will noch irgendetwas erklären, aber da brüllt der Mann schon los: »Sind Sie wahnsinnig? Wissen Sie, wie teuer dieser ganze Dreh ist? Jede Stunde, die wir hängen, kostet bares Geld! Und dann bringen Sie hier Ihren ungezogenen Dackel mit. Ich hoffe, er hat Jens nicht wirklich verletzt - ohne ihn können wir die Produktion vergessen, er ist unser Hauptdarsteller!« Er schnaubt noch einmal, dann holt er tief Luft und spricht in etwas ruhigerem Ton weiter. »Wer sind Sie eigentlich?«
Carolin ist mittlerweile ganz blass um die Nase geworden und flüstert fast, als sie antwortet: »Neumann mein Name. Ich habe den Cellokasten für das Gewehr geliefert. Das mit Herkules tut mir echt leid. Er dachte wohl, das sei ein echter Bankraub und wollte den Herrn da drüben beschützen.«
Genau! Ich bin nicht ungezogen. Ich bin nur hilfsbereit -und ganz schön mutig!
Mittlerweile hat sich dieser Jens neben uns gestellt und mustert Carolin neugierig. Ohne die Mütze sieht er eindeutig besser aus. Er hat die für Männerverhältnisse anscheinend so wichtigen blauen Augen, seine Haare sind ganz dunkel und wild verstrubbelt. Letzteres kann natürlich auch an der Mütze liegen.
»Lass mal gut sein, Roland. Ich bin okay, der Kleine hat zwar ziemlich zugeschnappt, aber ich glaube, ich komme
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